Nutzen der KI in der Dermatologie – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft1
Benefits of AI in Dermatology – Past, Present, and Future
Staffan Vanderseea, Sophia Neisingerb,c
1 Genderhinweis: Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Artikel das generische Maskulinum verwendet. Die in der Arbeit verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.
a Klinik für Dermatologie und Venerologie, Bundeswehrkrankenhaus Berlin,
b Institut für Allergologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin,
c Fraunhofer-Institut für Translationale Medizin und Pharmakologie ITMP Berlin
Zusammenfassung
Die Dermatologie ist sowohl in der Makroskopie als auch Mikroskopie ein ungemein visuelles Fach. Als solches lebt es gerade in Bezug auf die richtige Einordnung eines klinischen Bildes von der Erfahrung und dem Wissensschatz des Untersuchers. Die korrekte Einordnung eines Befunds ist, vor allem wenn es um die Differenzierung zwischen malignen und benignen Erkrankungen geht, von besonderer Wichtigkeit. Da optische Systeme zur Augmentierung des menschlichen Auges bereits seit Längerem in der Diagnostik eingesetzt werden und digitale Bildverarbeitung ermöglichen, wurde das Fachgebiet frühzeitig auf die Unterstützung durch KI aufmerksam. Aktuell existieren bereits zahlreiche KI-unterstützte, aber auch generell digitale Anwendungen im Fachgebiet, vor allem im Bereich der digitalen Dermatoskopie, aber auch in Bezug auf Praxisorganisation, Dermatohistologie und seit Kurzem auch in Bezug auf generelle Diagnosestellungen bei Hauterkrankungen. Letztere werden zunehmend im privaten Sektor verortet und stützen sich in der Allgemeinbevölkerung auf die Nutzung u. a. von Chatbots.
Dermatosen sind in der Allgemeinbevölkerung und so auch den Streitkräften hochprävalent und führen häufig zur Minderung der Dienst- bzw. Einsatzfähigkeit. Dies bedingt, verbunden mit der hierzu geringen Anzahl dermatologisch ausgebildeten ärztlichen Personals in Einsatzszenarien, eine hohe Relevanz des zukünftig verstärkten Einsatzes KI-gestützter Systeme auch im telemedizinischen Kontext. Die Entwicklung und der aktuelle Stand in Bezug auf KI, rechtliche Aspekte und Ausblicke für die Wehrdermatologie sind der Gegenstand dieses Artikels.
Schlüsselwörter: Dermatologie, Künstliche Intelligenz, KI, Large Language Models, Militärmedizin
Summary
Dermatology is, in both macroscopy and microscopy, a specialty relying on visual interpretation. As such, it particularly depends on the experience and knowledge of the examining specialist in correctly interpreting clinical findings. It can be especially challenging when benign and malignant lesions need to be differentiated. Because optical systems for augmenting human eyesight have long been introduced into clinical practice and further adapted into digital image processing systems, AI support for these systems has come into focus. Currently, there are numerous AI-supported applications and digital devices in the field. This includes digital dermoscopy in particular, but also applications for organizing clinical practice, in dermatopathology, and, recently, general diagnostics of skin diseases. For this purpose, chatbots are increasingly used by the general population, enabling counseling to occur outside a professional medical setting.
Dermatoses are highly prevalent in the general population and, consequently, in military service personnel, often leading to reductions in service or operational capability. The relatively small number of dermatological specialists compared to the potential patient base highlights the high relevance for increased future use of AI-supported systems. These are especially suitable, as they can readily be used in a telemedical context. The development over time, the legal regulations applying to their use, and the current status of AI in military dermatology will be illustrated in this article.
Keywords: dermatology; artificial intelligence; AI; large language models; military medicine
Einleitung
Künstliche Intelligenz (KI) im Allgemeinen bezeichnet Systeme, die in der Lage sind, durch verschiedene Algorithmen Muster zu erkennen. Ein Teilgebiet ist die bildbasierte KI, die mithilfe von Deep-Learning-Verfahren, vor allem den sogenannten Convolutional Neural Networks (CNNs oder auch faltende neuronale Netzwerke), visuelle Informationen, u. a. Bilder, automatisiert analysieren kann. In der Medizin findet dieser Ansatz bereits zunehmend und in immer größerem Maßstab Anwendung. Dies gilt vor allem in visuell dominierten Fächern wie Radiologie und Dermatologie, aber auch in der Pathologie, die als Dermatopathologie ebenfalls als integraler Bestandteil des Gebiets angesehen werden muss. Somit steht das Fachgebiet Dermatologie hier besonders im Fokus [10].
Untrennbar verbunden ist die Entwicklung der KI mit den Träger-, Diagnose- und potenziellen Therapiesystemen, mittels derer sie an Patienten zur Anwendung gebracht werden. Neben hierfür speziell konstruierten Systemen finden diese auch zunehmend z. B. in verschiedenen Wearables wie Fitnesstrackern oder -uhren, vor allem aber integriert in Smartphones, Anwendung. Hierauf wird in der Folge noch tiefer eingegangen werden. Dieser Umstand bedingt jedoch auch die Loslösung medizinischer Expertise von hierfür speziell geschultem Personal bzw. spezialisierten Gesundheitseinrichtungen und verlagert diese in den privaten Bereich.
Erstes und einleuchtendes Einsatzgebiet in der Dermatologie waren Geräte zur digitalen Erfassung von Hautveränderungen. Hier ging es anfangs um die Erkennung von Muttermalen. Die gewonnenen Befunde dienten einerseits zur Erstellung von Datenbanken im Allgemeinen, vor allem aber zur sequenziellen Untersuchung von Hautläsionen über die Zeit, um Veränderungen erkennen zu können. Diese existieren bereits seit den frühen 1990er Jahren. In der Folge wurden diese – zunächst noch ohne Anwendung von KI – softwaregestützt zunehmend befähigt, malignitätsverdächtige von nicht suspekten Hautveränderungen zu unterscheiden. Sie sind in dieser Fähigkeit zunehmend leistungsfähiger geworden, bis dann bereits 2020 erste Studien zu Geräten mit Deep-Learning-Modellen eine Überlegenheit gegenüber Dermatologen nachweisen konnten [7][18].
Weltweit steigt die Inzidenz von Hautkrebs und auch anderen Hauterkrankungen kontinuierlich an. Gleichzeitig ist aufgrund der demografischen Entwicklung absehbar, dass in vielen Regionen in Deutschland, hier vor allem in ländlichen und strukturschwachen Regionen, die dermatologische fachärztliche Versorgung unter Umständen nicht mehr vollumfänglich gewährleistet werden kann. Diese Entwicklungen zeigen exemplarisch, dass innovative, gegebenenfalls KI-gestützte Lösungen idealerweise bereits zeitnah zur Verfügung stehen sollten, um adäquate Diagnostik wirksam anbieten zu können.
Auch im wehrmedizinischen Kontext scheint die Implementierung KI-gestützter Diagnostiksysteme daher geboten. Die Relevanz ergibt sich einerseits aus der hohen Prävalenz unter Einsatzbedingungen exazerbierender präexistenter Dermatosen wie auch der großen Zahl sich neu manifestierender, z. B. dermato-infektiologischer Erkrankungen, aber auch beispielsweise Wunden. Demgegenüber steht die relativ geringe Anzahl dermatologisch geschulten Personals. Dies gilt sowohl für die in den letzten Jahrzehnten vorherrschenden kriseninterventionsgeleiteten Einsätze, aber auch für die zukünftig möglichen Szenarien der Landes- und Bündnisverteidigung, wie auch der aktuelle Ukrainekonflikt belegt[17].
Bereits während des KFOR-Einsatzes waren teledermatologische Systeme bei Abwesenheit eines Dermatologen im Einsatzgebiet implementiert [13]. Diese etablierten Methoden könnten nun perspektivisch in neuen Einsatzszenarien, unterstützt von KI, erneut zum Einsatz kommen. Ziel dieser Übersichtsarbeit ist es daher, die aktuellen Möglichkeiten und den Nutzen von KI in verschiedenen Bereichen der Dermatologie darzustellen, hierbei auf regulatorische Aspekte einzugehen und die existierenden Systeme in Bezug auf Vorteile und Risiken kritisch zu hinterfragen.
Rechtliche Grundlagen
KI-basierte Software, die für medizinische Diagnostik oder Therapieunterstützung eingesetzt wird, gilt in der Regel als Medizinprodukt und unterliegt damit der EU Medical Device Regulation (MDR, 2017/745)[9]. Nach MDR dürfen Medizinprodukte erst in Verkehr gebracht werden, wenn sie ein Konformitätsbewertungsverfahren (inkl. CE-Kennzeichnung) durchlaufen haben. In Deutschland erfolgt dies über unabhängige benannte Stellen (z. B. TÜV SÜD, DEKRA u. a.), die die Einhaltung der MDR-Anforderungen prüfen und zertifizieren, bevor es als Medizinprodukt zugelassen werden kann. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) selbst übernimmt die Überwachung der Sicherheit von Medizinprodukten im Markt. Die MDR stellt hohe Anforderungen an KI-Systeme als Medizinprodukt; sie verlangt unter anderem, dass die Hersteller das Risiko ihrer KI-Systeme laufend prüfen und selbstlernende KI so konzipieren, dass Sicherheit und Performance dauerhaft gewährleistet sind. Parallel dazu plant die Europäische Union mit dem EU Artificial Intelligence Act zusätzliche Vorgaben speziell für Hochrisiko-KI-Systeme; diese müssen in Zukunft weitere Auflagen erfüllen[11]. Die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) bildet die zentrale Rechtsgrundlage für den Umgang mit personenbezogenen Gesundheitsdaten.
Spezielle Gesetze oder Gerichtsurteile zur Haftung von KI in der Medizin gibt es bislang nicht, die aktuelle Gesetzgebung enthält diesbezüglich keine expliziten Sonderregelungen. Eine KI selbst kann nach geltendem Recht nicht deliktsfähig oder anspruchsverpflichtet sein. Stattdessen stehen drei Gruppen in der Verantwortung, wenn durch eine KI-Anwendung ein Schaden entsteht: der Hersteller des KI-Systems, das anwendende Krankenhaus (bei angestellten Ärzten) und hier vor allem die Behandelnden, die KI-Ergebnisse immer kritisch hinterfragen müssen.
Anders als KI-basierte Systeme können digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) gemäß § 33a SGB V erstattet werden. DiGAs sind medizinische Apps, welche eine CE-Kennzeichnung als Medizinprodukt besitzen müssen, DSGVO-konform sind und den Nachweis eines positiven Versorgungseffekts erbracht haben. Nur unter den genannten Voraussetzungen können sie im DiGA-Verzeichnis des BfArM gelistet und auf Rezept verordnet werden [11]. Für KI-Leistungen selbst gibt es bisher keine spezifischen Ziffern nach EBM oder GOÄ. Telemedizinische Leistungen wie Videosprechstunden oder Telekonsile sind grundsätzlich abrechnungsfähig, haben aber meist keinen direkten KI-Bezug.Die Nutzung von KI-gestützten Fotosystemen im Hautkrebsscreening kann nicht als KI-Funktion direkt abgerechnet werden. Wird beim Hautkrebsscreening ein KI-gestütztes System verwendet, wird dieses nach GOÄ als Dermatoskopie, Fotodokumentation und ggf. Bildauswertung mit Verlaufskontrolle abgerechnet. Für gesetzlich versicherte Patienten ist lediglich das Hautkrebsscreening ggf. mit Auflichtmikroskopie abrechenbar. Die Fotodokumentation erfolgt als individuelle Gesundheitsleistung.
KI und digitale Gesundheitsanwendungen in der Dermatologie: Übersicht und historische
Entwicklung
Das erste Einsatzgebiet, in dem diagnostische Verfahren in der Dermatologie durch digitale Verarbeitung und Speicherung unterstützt wurden, lag auf dem Gebiet der Dermatoskopie. Bereits in den 1990er Jahren wurden hierfür Geräte marktverfügbar. Hierzu ist zu bemerken, dass die Auflichtmikroskopie, wie sie heute genutzt wird, nur wenige Jahre früher als diagnostisches Verfahren eingeführt wurde. Somit war bei diesem Verfahren eine digitale Augmentation fast von Beginn an vorhanden.
KI in der Hautkrebsdiagnostik
Hautkrebs stellt weltweit eine der häufigsten Tumorerkrankungen dar, und seine Inzidenz steigt kontinuierlich. Eine frühzeitige und verlässliche Diagnose ist entscheidend für die Prognose. Allerdings stehen Ärzte jedoch insbesondere bei unklaren Befunden oder in ressourcenlimitierten Settings wie unterversorgten Regionen vor Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund hat sich die Anwendung von KI in der Hautkrebsdiagnostik in den letzten Jahren zu einem intensiv beforschten Feld entwickelt[5][7].
Mehrere Studien zeigen, dass moderne Deep-Learning-Algorithmen bei der Klassifikation dermatoskopischer Bilder von gut- und bösartigen Hautläsionen eine mit Dermatologen vergleichbare oder sogar höhere Genauigkeit erreichen können. In einer Vergleichsstudie aus 2018 von Haenssle et al. hatte ein Convolutional Neural Network (CNN) eine höhere Treffergenauigkeit bei der Melanom-Erkennung als der Großteil der teilnehmenden Hautärzte [5]. Auch prospektive Studien von Heinlein und Ko-Autoren bestätigten das Potenzial solcher KI-Systeme im praktischen Einsatz. So erzielte der weiterentwickelte KI-Algorithmus (ADAE) eine deutlich höhere Sensitivität im Vergleich zu Dermatologen, bei gleichzeitig reduzierter Spezifität. Solche Systeme findet man heutzutage schon in digitalen Dermatoskopen wieder[6].
Patienten mit multiplen Naevi profitieren außerdem von technischen Verfahren, die Hautveränderungen über die Zeit verfolgen. Moderne Systeme erstellen zunächst ein vollständiges Hautabbild mit 2D-Fotos oder als 3D-Scan als Basis und erkennen bei Folgebesuchen neu aufgetauchte oder sich verändernde Läsionen mittels KI-gestützter Bilddifferenzierung (Abbildung 1).
Abb. 1: Schematischer Ablauf der KI-gestützten Hautkrebsdiagnostik: Eingabe (Input; Bildaufnahme einer Hautläsion mittels digitalem Dermatoskop oder 3D-Scan) → Verarbeitung (Analyse durch ein Convolutional Neural Network, CNN) → Ausgabe (Output; Darstellung des Befunds am Monitor mit Risikoabschätzung und Diagnosevorschlag).
Als Weiterentwicklung kann die digitale Histologie mittels beispielsweise optischer Kohärenztomographie (OCT) bzw. konfokaler Laserscan-Mikroskopie (CLSM) angesehen werden. Beide Verfahren nutzen jeweils emittiertes Laserlicht zur Darstellung zellulärer Strukturen der Haut, wobei die OCT tiefere Schichten bei weniger präziser Auflösung, die CLSM wiederum sehr hochauflösend bei geringerer Eindringtiefe ist. Die aktuellen Systeme kombinieren die Techniken (LC-OCT) und können auch auf zellulärer Ebene benigne von malignen Tumoren differenzieren, wobei Spezifität und Sensitivität zukünftig durch KI-Einsatz noch erhöht werden sollen [16]. Neben der Dignitätsbestimmung könnte die Anwendung beispielsweise auch präoperativ zur Schnittrandfestlegung eingesetzt werden, somit die Ausdehnung eines operativen Eingriffs sinnvoll eingrenzen und durch die Vermeidung von Nachexzisionen und damit einhergehend verkürzten Liegezeiten auch das stationäre Gesundheitssystem entlasten.
KI in der Wundmedizin
Ein weiteres, sich zunehmend eröffnendes und zudem wehrmedizinisch relevantes Feld ist der Einsatz KI-gestützter Systeme in der Wundbehandlung, wobei hier der Schwerpunkt derzeit auf chronischen Wunden liegt. Hierbei liegt der Fokus nicht nur auf standardisierter Erfassung und reproduzierbarer exakter Beschreibung, sondern die Systeme dienen auch zur Entscheidungshilfe in Bezug auf die gebotene adäquate Therapie; dies vor allem aber auch zur Identifikation potenzieller Risikofaktoren für eine Aggravation zur Abschätzung des Infektions- oder auch Amputationsrisikos[14][15]. Bei telemedizinischer Anwendung dieser Systeme ergibt sich der Zusatznutzen, dass die dermatologische Kompetenz in der Versorgung der Fläche gesteigert werden kann.
Chatbots, Callbots und Avatare im (zukünftigen) dermatologischen Alltag
In zunehmendem Maße werden Chatbots, die auf der Grundlage sogenannter Large Language Models entwickelt werden, für dermatologische Diagnosefindungen verwendet. Sie finden ihren Einsatz aber auch in vielen anderen Teilen der modernen Medizin. Die Inanspruchnahme von Chatbots zur Diagnostik hat sich aufgrund ihrer ständigen und ubiquitären Verfügbarkeit vom Kontext eines professionellen medizinischen Behandlungs- bzw. Beratungssettings weitestgehend entkoppelt. Zudem konnte inzwischen gezeigt werden, dass beispielsweise ChatGPT hierbei imstande war, theoretische Examinierungen, wie sie z. B. in Großbritannien (SCE – Specialty Certificate Examination) oder Portugal (TED – Título de Especialista em Dermatologie) durchgeführt werden, mit einer hinreichenden Präzision zu bestehen, wie es auch Prüflinge zu tun imstande sind. D´Agostino et al. kamen 2024 in einer Übersichtsarbeit zu dem Schluss, dass die besonderen Stärken sich hierbei auf dem Gebiet von niedergelegtem Fachwissen, aber auch bei der Beantwortung typischer, krankheitsassoziierter Patientenfragen zeigten[2]. Limitationen bestanden hingegen bei der visuellen Differenzierung von malignen vs. benignen Läsionen. Karampinis et al. fokussierten sich wiederum auf die Eignung von Large Language Models für edukative Zwecke und konnten zeigen, dass KI-generierte Fallpräsentationen vor allem genau in der Art der Präsentation waren, jedoch häufig im Vergleich zu Experten-generierten Fallszenarien klinische Relevanz wie auch lernmotivationsfördernde Elemente vermissen ließen[8].
Neben diesem Feld, in dem KI am dermatologischen Diagnosefindungsprozess beteiligt ist, sollten KI-gestützte Verfahren zur Praxis-, Klinik- bzw. Sprechstundenorganisation ebenfalls Erwähnung finden. In Zeiten von Fachärzte-, Fachkräfte- und Terminmangel können KI-gestützte Chatbots sowohl bei der Sprechstundenorganisation, der Datenverwaltung, zur Therapieüberwachung und zum Dauermedikationsmanagement eingesetzt werden und entlasten so die Mangelressource menschlicher Arbeitskraft und sind zudem zu jeder Zeit erreichbar. In Deutschland wird dieser Markt bereits von mehreren Firmen bedient, die marktreife Produkte eingeführt haben und die zunehmend Verwendung finden[1].
Avatare schließlich, also in diesem Kontext KI-generierte virtuelle „Ärztinnen und Ärzte“ werden in den USA bereits für Aufklärungs- oder Informationszwecke eingesetzt. Neben der Verfügbarkeit rund um die Uhr steht hierbei Niederschwelligkeit im Vordergrund, da Scham minimiert werden kann und zudem Patienten, welche niedergeschriebenen Informationen eher weniger zugeneigt sind, hierbei der Zugang zu Informationen erleichtert wird.
Alle diese Applikationen stellen somit ein Bindeglied bei der Verzahnung des privaten mit dem medizinischen Sektor mit dem Ziel dar, Ressourcen sinnvoll zu allozieren, medizinisches Fachpersonal zu entlasten und letztlich die Qualität von Diagnostik und Therapie zu unterstützen.
Abgrenzung KI-basierte Systeme und klassische digitale Tools
Die digitale Transformation der Dermatologie umfasst allerdings noch deutlich mehr als KI-gestützte Bildanalyse. Neben lernenden Algorithmen existieren zahlreiche klassische digitale Anwendungen, die bereits fest in die Versorgung integriert worden sind oder sich in der Entwicklung befinden. Diese Systeme erfüllen wichtige Funktionen in der Patientenversorgung, der Forschung und der Therapiebegleitung.
Ein Beispiel dafür ist die App CRUSE (Chronic Urticaria Self Evaluation), entwickelt von Dermatologen in Zusammenarbeit mit UCARE (Urticaria Centers of Reference and Excellence) des Global Allergy and Asthma Excellence Networks (e. V.). Sie ermöglicht Patienten mit chronischer spontaner Urtikaria (Nesselsucht) ein strukturiertes Monitoring ihrer Erkrankung auf Basis von validierten Patient Reported Outcome Measures. CRUSE ist in 39 Ländern in 24 Sprachen weltweit kostenfrei verfügbar[12]. Tools wie CRUSE zeigen, dass die Digitalisierung der Dermatologie nicht ausschließlich auf KI hinausläuft (Abbildung 2). Während KI-Systeme insbesondere in der Diagnostik von Hautkrebs oder der automatisierten Bildanalyse Potenzial entfalten, bieten Gesundheitsapps bereits heute praxisnahe Unterstützung in der Verlaufsdokumentation, Adhärenzförderung und Patient Empowerment, ähnlich wie es für die oben genannten Applikationen beschrieben wurde. Für die klinische Realität ergibt sich damit ein komplementäres Bild: KI als Entscheidungshilfe in komplexen Diagnosesituationen und digitale Gesundheitsanwendungen als kontinuierliche Begleiter.
Abb. 2: Digitales Monitoring für chronische Urtikaria-Patienten am Beispiel der CRUSE App
All diese Anwendungen setzen allerdings den Zugang zu Datennetzen voraus. Die Herausforderung für den Betrieb in Einrichtungen der Bundeswehr besteht daher darin, die Integrität der militärischen Daten- und Kommunikationsnetzwerke durch den Betrieb KI-gestützter Systeme nicht zu kompromittieren. Da die meisten der verfügbaren Applikationen auf Cloud-basierten Architekturen fußen, die in Bundeswehrliegenschaften nicht oder nicht ohne Weiteres implementierbar sind, leidet das selbstlernende System, wenn es als Stand-Alone-Applikation verwendet wird. Datensicherheit und dieser genannte Umstand werden im abschließenden Kapitel noch weiter thematisiert werden.
Zusammenfassung und Ausblick mit wehrmedizinischen Bezügen
Die Dermatologie als stark bildbasiertes Fach hat sich in den letzten Jahren zu einem zentralen Anwendungsgebiet für KI entwickelt. Insbesondere in der Hautkrebsdiagnostik konnten Convolutional Neural Networks eine diagnostische Treffsicherheit erreichen, die auf dem Niveau von Dermatologen liegt oder diese übertrifft. Noch wichtiger erscheint der Mehrwert in der Kombination Mensch und Maschine.
Riesiges Potenzial
Über die bereits etablierten Bereiche hinaus eröffnen sich aber auch weitere Perspektiven für den Einsatz von KI. Besonders in der Wundversorgung könnten KI-gestützte Tools zukünftig eine konsistente und ambulant einsetzbare Verlaufsdokumentation ermöglichen[14]. Darüber hinaus bietet KI das Potenzial für die automatisierte Berechnung klinischer Scores, z. B. bei entzündlichen Hauterkrankungen. Systeme könnten z. B. den Psoriasis Area and Severity Index (PASI) oder den SCORing Atopic Dermatitis (SCORAD) direkt aus Fotos errechnen und so eine objektivere Bewertung ermöglichen und Verlaufsdaten konsistenter und mit weniger Aufwand erheben[3]. Auch in der histopathologischen Beurteilung von u. a. Hauttumoren zeigt KI großes Potenzial. Typischerweise diagnostiziert die Histologie Hauttumore durch die visuelle Mikroskopie von Gewebeschnitten, was jedoch eine gewisse Subjektivität mit sich bringt. KI-Algorithmen könnten hier zur Standardisierung beitragen, zudem könnten die oben genannten digitalen Histologieapplikationen das Gebiet potenziell wesentlich weiter voranbringen[15].
Ethische Probleme
Mit dem zunehmenden Einsatz von KI in der Dermatologie entstehen neue Fragen hinsichtlich ethischer Verantwortung, Transparenz und rechtlicher Absicherung. KI-Systeme treffen Entscheidungen oft auf Basis komplexer neuronaler Netzwerke, deren interne Funktionsweise für Nutzer kaum nachvollziehbar ist. Diese eingeschränkte Erklärbarkeit kann das Vertrauen in KI-basierte Diagnosen oder Therapieempfehlungen beeinträchtigen und ist ein wesentliches ethisches Problem. Zudem besteht die Gefahr, dass unausgewogene oder nicht ausgewogen diversifiziert zusammengesetzte bzw. generierte Trainingsdatensätze zu systematischen Verzerrungen führen. Wenn beispielsweise bestimmte Hauttypen, Altersgruppen oder Ethnien in den Datensätzen unterrepräsentiert sind, kann dies die diagnostische Genauigkeit beeinträchtigen und bestehende Ungleichheiten in der Versorgung verstärken. Auch deshalb müssen KI-Systeme regelmäßig überprüft, validiert und an heterogene Bevölkerungsgruppen angepasst werden. Zudem sind Verantwortungs- und Haftungsfragen weiterhin weitgehend ungeklärt, da diesbezügliche Gesetzgebung und Rechtsprechung aktuell noch nicht mit der Rasanz der Entwicklungen Schritt halten: Während die KI technische Unterstützung bietet, liegt die medizinische Letztentscheidung weiterhin beim behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin. Ergänzend ist die Einhaltung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zentral – insbesondere bei der Nutzung von Bilddaten, die Rückschlüsse auf die Identität der Patienten zulassen. Gordon et al. (2024) kommen in ihrer Analyse zu dem Schluss, dass eine ethisch vertretbare Implementierung von KI in der Dermatologie nur gelingen kann, wenn Transparenz, Datensicherheit, Fairness und ärztliche Verantwortung gemeinsam gewährleistet werden[4].
Besondere wehrmedizinische Aspekte
Viele Aspekte der Relevanz von KI in der Dermatologie in Bezug auf wehrmedizinische Belange sind bereits dargestellt worden und sollen hier noch einmal subsummiert werden: Dermatosen sind, auch abseits von Verwundungen, allein wegen ihrer hohen Prävalenz in der allgemeinen Bevölkerung und somit auch bei Angehörigen der Streitkräfte relevant. Dies hat sich in den Kriseninterventionseinsätzen der Vergangenheit stets gezeigt und gilt ebenso für das Szenario der Landes- und Bündnisverteidigung.
Im Vordergrund steht hier vor allem die Aggravation bestehender und im Inlandsbetrieb hinreichend kupierter Dermatosen wie Akne vulgaris, Ekzemerkrankungen oder Psoriasis, die unter Einsatzbedingungen aus verschiedensten Gründen exazerbieren können. Dies kann klimatische oder hygienische Ursachen haben, aber auch mit der Notwendigkeit des Tragens von (Schutz-)Ausrüstung in Zusammenhang stehen, wie es für die Akne vulgaris an Schultern und Rücken nach prolongiertem Tragen einer ballistischen Schutzweste aus dem ISAF-Einsatz gut dokumentiert ist. Daneben spielen Infektionserkrankungen mit einem hochdiversen Erregerspektrum eine Rolle. Dies umfasst sowohl bakterielle, aber auch virale, mykotische oder parasitäre Infektionen bzw. Infestationen. Bei nicht wenigen hiervon kann neben den geschilderten Symptomen, der angegebenen Anamnese und der Dynamik der Hautveränderungen auch anhand der klinischen Morphologie der Hautveränderungen oder eines Exanthems der Verdacht auf das auslösende Agens erhärtet werden. Diagnostik und Therapie können dann gezielt und rasch erfolgen. Einige Beispiele von vielen hierfür mögen ein Erythema chronicum migrans nach Zeckenstich, die typische Randbetonung und Schuppung bei Mykosen, die typische Morphologie von Ekthymata bei Staphylokokken- oder Streptokokkeninfektion aber auch das erythrodermische Erythem mit fleckförmig unbefallener Haut bei einer Dengue-Virus-Infektion sein.
Mögen weniger diffizile Fragestellungen auch truppenärztlich beherrschbar sein, so zeigt die Erfahrung, dass differenzialtherapeutische Expertise bei schwerwiegenderen Verläufen der spezialisierten Dermatologie bedarf, um vermeidbare Ausfallzeiten militärischen Personals zu minimieren. Dermatologische Expertise an sich kann denn auch im einsatzmedizinischen Szenario als Mangelressource angesehen werden. Telemedizinisch-basierte Diagnostik mit Therapieempfehlungen rückt in diesem Zusammenhang in den Fokus. KI kann diese einerseits erleichtern, ggf. sogar, bei komplett fehlender Möglichkeit zur Einholung hautärztlicher Expertise, übergangsweise Abhilfe schaffen. Auch die vorgestellten Applikationen für die Dokumentation, Therapiehilfestellung und Risikoeinschätzung von Wunden sind hier als weiteres wichtiges Feld zu nennen. Wichtig in diesem Kontext ist jedoch die Bemerkung, dass all diese Anwendungen regelhaft einen sicheren Zugang zu Datennetzen erfordern, die in ihrer Integrität dergestalt geschützt sind, dass sie idealerweise sowohl auf dem Gefechtsfeld wie auch im rückwärtigen Raum zugänglich, stabil und sicher sind. Dies macht trotz allem deutlich, dass dermatologische Expertise durch ausgebildetes Personal weiterhin unerlässlich bleibt.
Neben dem Einsatzszenario bleibt unbestritten, dass KI für den Friedensbetrieb im Inland analog zur Entwicklung des zivilen Gesundheitssektors zunehmenden Raum einnehmen wird. Dies wird notwendig, um einerseits die Patientensteuerung, andererseits aber auch die Qualität bei Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrollen zu optimieren. Hierbei muss jedoch nach deutschem Recht stets der Facharztstandard gewahrt sein. Noch haben telemedizinische, ebenso wenig wie KI-gestützte Systeme, in den wehrdermatologischen Alltag des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Eingang gefunden und sind somit eine bisher noch nicht adressierte Fähigkeitslücke. Die Militärmedizin sollte hier jedoch zwingend mit der sich rasch entwickelnden zivilen Gesundheitslandschaft Schritt halten, um die hohe Versorgungsqualität unserer Soldatinnen und Soldaten auch weiterhin und unter den verschiedensten Umständen im In- wie Ausland, in Frieden wie in Einsatz gewährleisten zu können.
Kernaussagen
- Dermatologie als visuelles Fachgebiet ist besonders für KI-gestützte Applikationen geeignet.
- Schon frühzeitig haben digitale und neuerdings durch KI-gestützte Tools in das Gebiet Eingang gefunden.
- Verglichen mit der Häufigkeit an Dermatosen stellt die Anzahl verfügbarer Spezialisten eine Mangelressource dar.
- KI kann potenziell auch in Einsatzszenarien helfen, dermatologische Expertise leichter verfügbar zu machen.
- Zukünftig sollten KI-gestützte Applikationen rasch Eingang in die Wehrdermatologie finden, um mit dem zivilen Sektor Schritte zu halten.
Literatur
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Vandersee S, Neisinger S. Nutzen der KI in der Dermatologie – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. WMM 2025;69(12):525-531.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-781
Für die Verfasser
Oberstarzt Priv.-Doz. Dr. Staffan Vandersee
Klinik für Dermatologie
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Scharnhorststr. 13, 10115 Berlin
E-Mail: staffanvandersee@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Vandersee S, Neisinger S. [Benefits of AI in Dermatology – Past, Present, and Future]. WMM 2025;69(12):525-531.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-781
For the Authors
Colonel Associated Prof. Dr. Staffan Vandersee
Department of Dermatology
Bundeswehr Hospital Berlin
Scharnhorststr. 13, D-10115 Berlin
E-Mail: staffanvandersee@bundeswehr.org