Food and Water Defense – Erkenntnisse des Russland-Ukraine-Krieges für die (hoch)mobile Lebensmittel- und Trinkwasseruntersuchung
Food and Water Defense – Insights from the Russia-Ukraine War for (Highly) Mobile Food
and Drinking Water Testing
Nicole Meiera, Bernd Klauberta
a Zentrales Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr München
Zusammenfassung
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist aktuell einer der schwerwiegendsten Konflikte in Europa mit weitreichenden Folgen für Natur und Umwelt. Truppenbewegungen, der massive Einsatz von Artillerie, die Zerstörung von Infrastruktur und liegengebliebenes Kriegsgerät setzen hohe Mengen an Umweltkontaminanten frei. Zudem werden die physikalischen, chemischen und biologischen Eigenschaften des Bodens beeinträchtigt, mit erheblichen Konsequenzen für die Landwirtschaft und die Qualität der angebauten Lebensmittel. Es besteht außerdem die Gefahr, dass aus Kernkraftwerken radioaktive Strahlung austritt. Eine nachteilige Beeinflussung (Kontamination) und deren gesundheitliche Auswirkungen können durch den lebensmittelchemischen A-/C-Schutz aufgeklärt werden. Hierfür stehen mit dem lebensmittel- und ökochemischen Feldlabor hochmobile analytische Fähigkeiten zur Verfügung.
Diese Übersichtsarbeit zielt darauf ab, aktuelle Literatur bzgl. der Freisetzung von Umweltkontaminanten durch militärische Aktivitäten im Russland-Ukraine-Krieg zu identifizieren und zusammenzufassen. Aus aktuellen Daten zum Grad der Gewässerbelastung sowie dem Schadstoffeintrag in Lebensmittel aus der Ukraine sollen konkrete Fragestellungen zur Erweiterung des Leistungsspektrums des mobilen lebensmittel- und ökochemischen Laborcontainers abgeleitet werden. Hierbei liegt der Fokus auf potenziellen Herausforderungen in der Landes-/Bündnisverteidigung bzw. der gesamtstaatlichen Verteidigung.
Die Literaturübersicht zeigt, dass der Russland-Ukraine-Krieg erhebliche Auswirkungen auf die Lebensmittel- und Wasserqualität hat, z. B. durch Angriffe auf Wasserressourcen und -infrastruktur. Die Verunreinigung von Wasser mit Sprengstoffen, Schwermetallen und Radionukliden bringt folglich eine reale Bedrohung mit sich. Mobile Feldlabore ermöglichen die schnelle Beurteilung einer etwaigen toxikologischen Wirkung. Die Beantwortung der Frage, ob der Konsum unbedenklich ist, leistet somit einen wichtigen Beitrag im Rahmen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes.
Schlüsselwörter: Lebensmittel- und Trinkwassersicherheit, Lebensmittelchemischer A-/C-Schutz, Vorbeugender Gesundheitsschutz, Mobile Analytik, Literaturübersicht
Summary
The Russian invasion of Ukraine is currently one of the most severe conflicts in Europe, with far-reaching consequences for nature and the environment. Troop movements, extensive artillery use, infrastructure destruction, and abandoned military equipment all contribute to the release of significant amounts of environmental contaminants. Additionally, the physical, chemical, and biological properties of the soil are impaired with considerable consequences for agriculture and food quality. There is also the risk of radioactive emissions from nuclear power plants. Adverse effects (contamination) and their health impacts can be identified through the food chemical A/C protection. For this purpose, highly mobile analytical capabilities are available with the food and eco-chemical field laboratory. This review aims to identify and summarize the current literature on the release of environmental contaminants through military activities during the Russia-Ukraine War. Based on current data on water contamination levels and pollutant inputs from Ukrainian food, specific questions can be derived to expand the performance spectrum of the mobile food and eco-chemical laboratory container. The focus here is on potential challenges in national/alliance defense or comprehensive national defense. The literature review indicates that the Russia-Ukraine War has a significant impact on food and water quality, for example, through attacks on water resources and infrastructure. Water contamination with explosives, heavy metals, and radionuclides poses a real threat. Mobile field laboratories enable rapid assessment of any toxicological effects. Answering whether consumption is safe thus makes an essential contribution to preventive health protection.
Keywords: Food and water safety, Food chemical A/C protection, Preventive health protection, Mobile analytics, Literature review
Einleitung und Hintergrund
Angesichts der Erkenntnisse aus dem Kriegsgeschehen in der Ukraine muss davon ausgegangen werden, dass chemische und radiologische Gefahren die Lebensmittel- und Trinkwassersicherheit erheblich bedrohen. Dabei gehören vor allem Trinkwasser und die dazugehörige Wasserinfrastruktur zu den am stärksten gefährdeten Bereichen. In der Literatur wird sowohl über die Rolle des Wassers als treibende Kraft von Konflikten als auch über die Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf Wasser und Wassersysteme berichtet. Die Open-source Datenbank „Water Conflict Chronology“ des Pacific Institute umfasst derzeit mehr als 1 600 Einträge in den drei Kategorien (Abbildung 1):
Abb. 1: Wasser-Ereignisse während des Ukraine-Russland-Kriegs nach Jahr und Art. (Daten von <https://www.worldwater.org> [9])
(1) Wasser als „trigger“ (Kontrolle über Zugang zu Wasser),
(2) Wasser als „weapon“ (Wasser wird als Waffe eingesetzt),
(3) Wasser als „casualty“ (direkter Angriff auf Wassersysteme).
Seit Beginn des Ukraine-Russland-Krieges wurden bereits 64 Einträge in den Kategorien Wasser als „weapon“ (10 x) und als „casualty“ (54 x) aufgezeichnet (siehe Abbildung 1) [9]. Darüber hinaus sind die Wasserressourcen häufig durch sogenannte Kollateralschäden, wie die Verschmutzung durch militärische Operationen, bedroht. Allein in den ersten drei Monaten des Krieges wurden Berichte über Schäden an Dämmen, überflutete Minen, verminte Gebiete, Unterbrechung der Wasserversorgung, des Wassertransports und der Abwasserbehandlung, Verschmutzung des Oberflächenwassers, bakterielle Belastung sowie das Risiko einer radioaktiven Kontamination registriert [13].
Eine Beeinträchtigung oder Kontamination von Trinkwasser und Lebensmitteln sowie die daraus resultierenden gesundheitlichen Folgen für Soldatinnen und Soldaten können erhebliche Auswirkungen haben. Durch lebensmittelchemischen A-/C-Schutz lassen sich derartige Risiken identifizieren und bewerten. Hierfür stehen mit dem lebensmittel- und ökochemischen Feldlabor (hoch)mobile analytische Fähigkeiten zur Verfügung. Ziel dieser Übersichtsarbeit war es, aktuelle Literatur bzgl. der Freisetzung von Umweltkontaminanten durch militärische Aktivitäten im Russland-Ukraine-Krieg zu identifizieren und zusammenzufassen.
Methode
Für diese Literaturübersicht wurde im April 2024 eine umfassende Recherche in relevanten wissenschaftlichen Datenbanken durchgeführt, um bestehende Daten und Publikationen zum Thema Umweltkontamination im Rahmen des Russland-Ukraine-Kriegs zu identifizieren und zusammenzufassen. Die verwendeten Datenbanken umfassten PubMed und Google Scholar, um eine breite Abdeckung der einschlägigen Fachliteratur zu gewährleisten. Es wurden sowohl Originalveröffentlichungen als auch Review-Artikel berücksichtigt. Zusätzlich wurden öffentlich zugängliche Daten aus der Ukraine in die Diskussion einbezogen. Durch die Analyse der aktuellen Literatur und der Daten aus der Ukraine sollen im weiteren Verlauf konkrete Fragestellungen zur Erweiterung des Leistungsspektrums des lebensmittel- und ökochemischen Laborcontainers abgeleitet werden. Hierbei liegt der Fokus auf potenziellen Herausforderungen in der Landes-/Bündnisverteidigung bzw. der gesamtstaatlichen Verteidigung.
Ergebnisse
Übersicht über Gefahren, welche zur Wasserverschmutzung führen
Die Beeinträchtigung der physikalischen, chemischen und biologischen Eigenschaften des Bodens durch militärische Aktivitäten führt zu erheblichen Konsequenzen für die Landwirtschaft und die Qualität der angebauten Lebensmittel. Dabei sind physikalisch/chemische Verunreinigung von Wasser und Lebensmitteln auf folgende Ursachen zurückzuführen:
- Großflächige Feuer/Brände,
- Zerstörung kritischer Infrastruktur (z. B. Energie- und Kraftstoffversorgung, Wasserversorgungs- und Abwasseraufarbeitungsanlagen, Abfallentsorgungssysteme),
- Schäden an chemischer Industrie und Kernkraftwerken (Freisetzung von „toxic industrial chemicals“ [TIC] bzw. radioaktiver Strahlung),
- Überreste von Bomben, Raketen und Munitionstrümmern bzw. liegengebliebene/versunkene Militärfahrzeuge und -ausrüstung,
- Flut von Bergwerken und Abraumhalden („tailing storage facilities“[TSF]) sowie
- Kontamination mit chemischen Kampfstoffen oder Sabotagegiften (z. B. via „unmanned armed vehicles“ [UAV]).
Insgesamt können kriegerische Handlungen also zu einer unabsichtlichen Kontamination und einer damit verbundenen Gefahr für die Gesundheit führen. Davon zu unterscheiden ist eine absichtliche Kontamination von Wasser und Lebensmitteln mit Chemical Warfare Agents (CWA) oder geeigneten Sabotagegiften.
Stillgelegte Bergminen und TSF
Ein besonderes Beispiel für die Gefährdung der Wasserressourcen der Ukraine sind stillgelegte Bergminen und Absetzanlagen (TSF), also Anlagen zur Lagerung flüssiger Abfälle aus verschiedenen Industriezweigen (465 TSF in 2019 [8]). Allein in den Regionen Donezk und Luhansk gibt es 200 TSF, in denen 939 Mio. Tonnen Industrieabfälle gelagert werden [1][8]. Ein Ausfall der Pumpen oder eine mutwillige Zerstörung der TSF-Systeme kann zu einer Flutung der Bergwerke und damit zur Freisetzung von giftigem Grubenwasser führen. Die Giftstoffe können folglich in das Grundwasser sickern und somit ganze Gebiete belasten [11]. Eine besondere Gefahr besteht, wenn die Oleksandr-Zakhid-Mine in Horlivka, in der seit 1989 Chlorbenzol und andere krebserregende Giftstoffe gelagert werden, oder die Yunyi-Komunar-Mine, in welcher die Sowjetunion 1979 eine 0,3-Kilotonnen-Atombombe zündete, überflutet werden [4][6].
Pestizide
Ein weiteres ernstes Problem für die ukrainischen Gewässer sind kleine illegale Deponien mit abgelaufenen Pestiziden im Boden aus der Sowjetzeit („pesticide burials“). Die Ukraine ist derzeit einer der größten Pestizidverbraucher der Welt (ca. 100 000 t pro Jahr). Im Jahr 2020 wurden landesweit schätzungsweise 8 230 t abgelaufener Pestizide in 650 Lagerstätten gelagert. Durch Bombenangriffe verursachte Explosionen und die absichtliche Überflutung landwirtschaftlicher Flächen durch die Sprengung von Dämmen tragen zur Freisetzung von gelagerten Pestiziden in das Grundwasser bei [6].
Kernkraftwerke (Nuclear power plants [NPP])
Während des Ukraine-Russland-Krieges kam es bereits zu Kampfhandlungen und Artillerieangriffen auf die Gebiete der Kernkraftwerke in Tschernobyl (NPP Tschernobyl) und Enerhodar (NPP Saporischschja). Beide NPP befinden sich in der Nähe von Flüssen und großen Wasserreservoirs. Ein solcher Standort birgt das Risiko von Radionuklidemissionen in die Umwelt und deren schnelle Übertragung auf die umliegenden Ökosysteme [6].
Abb. 2: Das Wasserkraftwerk Kachowka und der dazugehörige Staudamm am Fluss Dnipro wurden am frühen Morgen des 6. Juni 2023 durch eine Explosion vollständig zerstört. Am unteren Flusslauf des Dnipro wurden vier Städte und mehrere Dutzende Dörfer weitgehend überflutet, wobei zahlreiche Menschen ums Leben kamen und die industrielle und städtische Infrastruktur zerstört oder beschädigt wurde. Bakterielle und chemische Verschmutzungen, wie Mineralölrückstände, Schwermetalle oder polychlorierte Biphenyle, wurden sowohl im Gebiet flussabwärts als auch im nordwestlichen Teil des Schwarzen Meeres festgestellt. Die Wasserversorgung weitläufiger landwirtschaftlicher Gebiete, mehrerer großer Städte und Ortschaften sowie wichtiger Energieanlagen, einschließlich des Kernkraftwerks Saporischschja, wurde unterbrochen [17]. Satellitenbilder der Unterläufe des Dnipro-Flusses, aufgenommen vom Landsat-9-Satelliten am (a) 1. Juni 2023 und (b) 9. Juni 2023. (Quelle: https://earthexplorer.usgs.gov/)
Zusammenfassung der Daten aus dem Wassermonitoring
Trotz der militärischen Aktivitäten führt die staatliche Agentur für Wasserressourcen ein Monitoring der Oberflächengewässer, die für den Trinkwasser- und Haushaltsbedarf der Bevölkerung genutzt werden, an den Überwachungspunkten, an denen die militärische Einsatzlage dies zulässt, durch. Dabei wurden überhöhte Konzentrationen der Schwermetalle Quecksilber, Kupfer, Zinn, Mangan und Lithium festgestellt. Eine bis zu 8,5-fache Überschreitung der Mineralöl- und Quecksilbergehalte wurde auch an Stellen festgestellt, an denen sie vor der Invasion überhaupt nicht nachgewiesen wurden [1]. Im Fluss Uda wurde beispielsweise ein 20- bis 58-facher Anstieg des Insektizids Cypermethrin und 1,5- bis 1,7-fach erhöhte Gehalte an polyaromatischen Kohlenwasserstoffen gemessen. An den Oberflächentrinkwasserentnahmestellen in Charkiw stieg der Phosphat-Gehalt um das 2,4-fache und der Nitrit-Gehalt um das 4-fache an. Ebenfalls wurden aufgrund ineffizienten Betriebes von Kläranlagen infolge der Feindseligkeiten in der Region (Schäden, Stromausfälle etc.) an den Oberflächentrinkwasserentnahmestellen in Donezk um das 2,4-fache erhöhte Ammonium- und um das 2,8-fache erhöhte Nitrit-gehalte festgestellt. Zudem wurden die Grenzwerte für Pestizide, polyaromatische Kohlenwasserstoffe, flüchtige organische Kohlenwasserstoffe und Schwermetalle überschritten [16]. Nachdem Raketentrümmer Düngemitteltanks beschädigt hatten, wurden außerdem in Flusswasserproben östlich von Lviv Konzentrationen von Ammoniak und Nitraten festgestellt, die 163- bzw. 50-mal über den normalen Grenzwerten lagen [11]. Als weiteres Beispiel zeigen Daten von Strokal et al. 2023, dass aufgrund von beschädigten Abwasserleitungen und Kläranlagen die Einträge von Schmerzmitteln, antibakteriellen Wirkstoffen und Mikroplastik in den Fluss Dnirpo im Jahr 2022 um 2 bis 34 % gestiegen sind [15].
Aufgrund der militärischen Lage hat die staatliche Überwachung allerdings keinen stetigen Zugang zu allen relevanten Probenahmestellen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Lücke durch militärische Feldlabore inkl. der dazugehörigen (hoch)mobilen Probenahmetrupps zu schließen.
Gesundheitlich relevante Parameter für den lebensmittel- und ökochemischen Laborcontainer
Insgesamt finden sich zahlreiche Berichte über die Verunreinigung von Wasser mit diversen chemischen Verbindungen. Die nachfolgende Aufzählung gibt einen Überblick über relevante physikalisch-chemische Parameter. In eckigen Klammern sind die Referenzen/Quellen angegeben.
• Ammonium [3][4][7][11][13][15]
• Arzneimittel (z. B. Diclofenac) [15]
• Chemische Kampfstoffe (CWA) [4][14]
• Chlorbenzo(b)thiophen [10]
• Dioxine [7][10]
• Flüchtige organische Kohlenwasserstoffe (z. B. Chloroform) [7]
• Makro-/Mikroplastik [15]
• Mykotoxine [5]
• Nitrat [3][7][11][15]
• Nitrit [4][7][13][15]
• Öl/Treibstoff-Rückstände [1][7][11][13][14][17]
• Perchlorat [10][11]
• Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS)
• Pestizide (z. B. Triclosan) [6][7][13][15]
• Phosphat [15]
• Polyaromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) [4][7][10][13]
• Polychlorierte Biphenyle (PCB) [10][17]
• (Poly)chlorierte Naphthaline [10]
• Radioaktive Verbindungen [1][3][6][10][14]
• Schwermetalle [1–5, 7, 10, 11, 13, 14, 17
• Sprengstoffe (Nitroaromaten, z. B. TNT) [1][3][4][6][10][11][14]
• Sulfat [7][13]
• Toxic industry chemicals (TIC) [6][7][11]
Bedeutung des lebensmittel- und ökochemischen Laborcontainers
Die aktuelle Literatur zeigt, dass der Russland-Ukraine-Krieg erhebliche Auswirkungen auf die Lebensmittel- und Wasserqualität hat, z. B. durch gezielte Angriffe auf Wasserressourcen und -infrastruktur oder unbeabsichtigte Kontamination durch militärische Aktivitäten. Der Nutzen des lebensmittel- und ökochemischen Laborcontainers liegt in der schnellen Beurteilung einer möglichen akuten toxikologischen Wirkung durch den Verzehr von Wasser und Lebensmitteln. Die hochmobilen Probenahmetrupps können dabei auch bewaffnet agieren und so ggf. die Lücken der zivilen amtlichen Überwachung schließen.
Aufgrund der hohen Mobilität und der schnellen Verlegbarkeit können direkt vor Ort Aussagen über die Genusstauglichkeit bzw. mögliche Gesundheitsgefährdungen getroffen werden. Für den lebensmittel- und ökochemischen Laborcontainer sind hierbei vor allem Parameter, welche nicht standardmäßig von der zivilen Überwachung abgedeckt werden, von Interesse. Hierzu gehören z. B. Sprengstoffrückstände oder CWA. Aufgrund der gewonnenen Information sollte das Leistungsspektrum lageangepasst auch die Bestimmung von TIC oder Pestizid-Rückständen umfassen. Ergänzend können Daten aus Satellitenaufnahmen („remote sensing data“) [12][14] oder aus Open-Source-Tools genutzt werden (Abbildung 3), um potenzielle Gefahrenquellen zu identifizieren und zu analysierende Parameter abzuleiten.
Abb. 3:Open-source Tools zur Visualisierung der Umweltschäden: Ecodozor ist ein Instrument zur Kartierung der Umweltfolgen und -risiken von Auseinandersetzungen in der Ukraine, das auf Open-Source-Daten beruht. Es bewertet die Störung kritischer Infrastrukturen, Einrichtungen und Siedlungen. Das Tool dient dazu, potenzielle Probleme wie Umweltrisiken und Waldbrände zu verfolgen und Prioritäten für künftige Analysen zu setzen. Die Website Ecoaction wird von einer zivilgesellschaftlichen Organisation verwaltet, die sich aus Experten und Aktivisten zusammensetzt. Sie überwacht Fälle und erstellt Berichte über die durch die russische Invasion verursachten Umweltauswirkungen. Es handelt sich um eine Teilbewertung, die den ukrainischen Behörden nach Beendigung der aktiven Feindseligkeiten als Hilfe dienen soll. Die Website enthält interaktive Karten, Bewertungen und Berichte zur weiteren Veranschaulichung der Schäden. Die Website EcoZagroza (Official Resource of the Ministry of Environmental Protection and Natural Resources of Ukraine) bietet ukrainischen Bürgern die Möglichkeit, Berichte über Umweltschäden und Bilder an einen Chatbot zu senden, die vom Ministerium für Umweltschutz und natürliche Ressourcen gesammelt werden. EcoZagroza enthält Dashboards über Umweltschäden, Brandstatistiken, Verschmutzungsdaten und Informationen über die Folgen von Militäraktionen und Auswirkungen auf die Umwelt. Zusätzlich enthält die interaktive Karte Daten aus den Überwachungsstationen zur Luft- und Wasserqualität, sowie zur Hintergrundstrahlung.
Fazit
Die Übersichtsarbeit liefert Einblicke in die Belastungssituation des Wassers, der Lebensmittel und insbesondere der Umwelt in der Ukraine und deren gesundheitliche Auswirkungen auf das tägliche Leben. Darüber hinaus bildet die Zusammenfassung eine Grundlage für die Weiterentwicklung des Leistungsspektrums des (hoch)mobilen Lebensmittel- und ökochemischen Laborcontainers für künftige Einsätze im Rahmen eines Landes- und Bündnisverteidigungsszenarios bzw. der gesamtstaatlichen Verteidigung. Die hochmobilen Feldlabore leisten dabei einen wichtigen Beitrag zum vorbeugenden Gesundheitsschutz der Soldatinnen und Soldaten und sichern eine gesundheitlich unbedenkliche Verpflegung für die Truppe.
Literatur
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Meier N, Klaubert B: Food and Water Defense – Erkenntnisse des Russland-Ukraine-Krieges für die (hoch)mobile Lebensmittel- und Trinkwasseruntersuchung. WMM 2025; 69(10-11): 487-491.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-762
Für die Verfasser
Stabspotheker Dr. Nicole Meier
Zentrales Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr München
Ingolstädter Landstraße 102, 85748 Garching
E-Mail: nicole1meier@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Meier N, Klaubert B: Food and Water Defense – Insights from the Russia-Ukraine War for (Highly) Mobile Food and Drinking Water Testing. WMM 2025; 69(10-11E): 7.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-763
For the Authors
Captain (MC Pharm) Dr. Nicole Meier
Central Institute of the Bundeswehr Medical Service Munich
Ingolstädter Landstraße 102, D-85748 Garching
E-Mail: nicole1meier@bundeswehr.org
Abstieg um 2 000 m in fünf Minuten – praxisorientierte Ausbildung in der Höhen-Klima-Simulationsanlage der Luftwaffe
Descent of 2000 Meters in Five Minutes – Hands-on Training in the Altitude Climate Simulation Facility of the German Air Force
Markus Tannheimer a,b, Raimund Lechner c,d, Thomas Küpper e,f, Andreas Werner e,g,h
a Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin, Universität Ulm
b Allgemein- und Visceralchirurgie, ADK-Klinik Blaubeuren
c Deutsche Gesellschaft für Berg- und Expeditionsmedizin
d Ärztlicher Dienst, Polizei Baden-Württemberg
e Institut für Arbeits-, Sozial- & Umweltmedizin,RWTH Aachen
f Faculty of Travel Medicine, Royal College of Physicians and Surgeons, Glasgow (U.K.)
g Arztgruppe Betriebsmedizin, Sanitätsunterstützungszentrum Munster
h Institut für Physiologie/Zentrum für Weltraummedizin und extreme Umwelten, Charité Universitätsmedizin Berlin
Zusammenfassung
Militäreinsätze in großen Höhen sind von großer Bedeutung, da etwa 85 % aller bewaffneten Konflikte weltweit in Gebirgsregionen stattfinden. Ab einer Höhe von 2 500 m steigt das Risiko für die akute Bergkrankheit (Acute Mountain Sickness) deutlich an. Soldaten sind hiervon signifikant häufiger betroffen als zivile Bergsteiger. Der Überdruckrettungssack ermöglicht eine effektive notfallmedizinische Maßnahme unter Feldbedingungen. Durch Erzeugen eines Überdrucks in einer luftdichten Kammer kann ein physiologischer Höhenabstieg von etwa 2 000 m simuliert werden, was häufig zu einer raschen klinischen Besserung führt.
Zur sicheren Anwendung ist eine praktische Ausbildung erforderlich. Die Höhen-Klima-Simulationsanlage des Zentrums für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe bietet hierfür optimale Voraussetzungen. Sie ermöglicht die realitätsnahe Darstellung großer Höhen (15 000 Fuß entsprechend 4 572 m) in einer kontrollierten, sicheren Umgebung.
Im Rahmen eines Ausbildungskurses wird die Wirkung des Überdruckrettungssacks eindrucksvoll demonstriert. Der simulierte Abstieg und die damit verbundene rasche Verbesserung physiologischer Parameter wie Sauerstoffsättigung und Pulsfrequenz sind für die Teilnehmenden unmittelbar erlebbar. Diese praxisnahe Schulung fördert das Verständnis für die Pathophysiologie der Höhenkrankheit sowie die Handhabung verfügbarer Notfallmaßnahmen beim militärischen Einsatz in der Höhe.
Schlüsselwörter: Militäreinsätze in großen Höhen, akute Bergkrankheit (AMS), Überdruckrettungssack, Höhen-Klima-Simulationsanlage, notfallmedizinische Ausbildung, physiologische Parameter
Summary
Military operations at high altitudes are of significant importance, as approximately 85% of all armed conflicts worldwide occur in mountainous regions. Above an altitude of 2,500 meters, the risk of Acute Mountain Sickness (AMS) increases markedly. Soldiers are significantly more affected than civilian mountaineers. The hyperbaric rescue bag provides an effective emergency medical measure under field conditions. By creating an overpressure in an airtight chamber, a physiological descent of approximately 2,000 meters can be simulated, often leading to rapid clinical improvement.
Practical training is required for safe application. The Altitude Climate Simulation Facility at the German Air Force’s Center for Aerospace Medicine offers optimal conditions for this. It enables a realistic depiction of high altitudes (15,000 feet, equivalent to 4,572 meters) in a controlled and safe environment.
During a training course, the effect of the hyperbaric rescue bag is impressively demonstrated. The simulated descent and the associated rapid improvement of physiological parameters, such as oxygen saturation and heart rate, are immediately tangible to the participants. This hands-on training enhances understanding of the pathophysiology of altitude sickness and the handling of available emergency measures during military operations at altitude.
Keywords: Military operations at high altitudes, Acute Mountain Sickness (AMS), hyperbaric rescue bag, Altitude Climate Simulation Facility, emergency medical training, physiological parameters
DieHöhen-Klima-Simulationsanlage der Luftwaffe
Die Höhen-Klima-Simulationsanlage (HKS) in Königsbrück, heute betrieben durch das Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe, hat eine lange Geschichte in der Ausbildung und Forschung der Flugphysiologie [18][19], die bis zur Nutzung durch die Nationale Volksarmee der ehemaligen DDR zurückreicht [17]. Seit ihrer Inbetriebnahme im Jahr 1987 wird sie dazu genutzt, das fliegende Personal gezielt auf die Auswirkungen von Sauerstoffmangel (Hypoxie) und Höhenbedingungen (Unterdruck) vorzubereiten. Diese Maßnahmen sind ein wesentlicher Bestandteil der Flugsicherheit [4]. Über die Jahre wurde die Kammer mehrfach modernisiert, um den neuesten technologischen Standards zu entsprechen [5]. Die Kammer ist mit umfassenden Sicherheitsmaßnahmen ausgestattet, um im Notfall schnell reagieren zu können. Das geschulte Personal kann sofort intervenieren, falls bei einem Training Komplikationen auftreten. Die HKS ist eine einzigartige Einrichtung in Europa. Sie wird nicht nur für militärische Zwecke genutzt, sondern kann auch für wissenschaftliche Kooperation und Forschung im zivilen Bereich verwendet werden.
Leistungsdaten und Funktionen
Die HKS ist eine technische Einrichtung, die es ermöglicht, die physiologischen Auswirkungen von Unterdruck (Höhensimulation) und bedingt von klimatischen Bedingungen (Lufttemperatur und -feuchte) auf den menschlichen Körper realitätsnah zu simulieren. Mit einer Länge von 6,60 m, einer Breite von 3,70 m und einer Höhe von 2,20 m ist die Kammer so groß, dass sechs Personen gleichzeitig trainiert werden können. Je nach Profil können auch längere Simulationen (bis zu 21 Tage) durchgeführt werden [10]. Generell ist aus Sicherheitsgründen ein sogenannter Innenbegleiter während der Aufstiege in der Kammer, welcher als Notfallsanitäter oder Rettungsassistent permanent mit 100 % Sauerstoff versorgt ist und bei Komplikationen sachgerecht eingreifen kann, bis der Druck in der Kammer auf Ortshöhe angekommen ist und weitere Maßnahmen ärztlicherseits aufgenommen werden können. Zudem ist an der Hauptkammer noch eine kleinere Kammer angebaut (2 Sitzplätze), um rapide Dekompressionen simulieren zu können.
Eckdaten der HKS
- Höhensimulation: In der HKS kann ein Unterdruck erzeugt werden, welcher einer Höhe von maximal 82 kft (≈ 25 km) entspricht. Das liegt weit über den größten Flughöhen von militärisch genutzten Luftfahrzeugen (≈ 55 kft).
- Klimabereiche: In der Kammer können Temperaturen zwischen 15 und 50°C sowie eine Luftfeuchtigkeit zwischen 30 und 80% relative Feuchte erzeugt werden, was für das Testen von Ausrüstungsgegenständen und technischen Geräten von großer Bedeutung ist. In der kleinen Kammer können bis zu -45°C erzeugt werden, dabei handelt es sich aber um sehr trockene Luft.
- Hypoxietraining: Eines der wichtigsten Trainingsziele in der HKS ist die Simulation des Sauerstoffmangels (Hypoxie), welcher in der Höhe zunehmend durch die Reduktion des O2-Partialdrucks auftritt. Fliegendes Personal kann hier in einem sicheren Umfeld die individuellen Symptome des Sauerstoffmangels erkennen und lernen, wie sich die Symptome durch den Einsatz von Sauerstoffmasken verändern.
Bedeutung und Nutzung
Die HKS in Königsbrück ist eine der zentralen Einrichtungen in der Ausbildung des fliegenden Personals der Bundeswehr. Ihre Hauptaufgaben umfassen:
- Pilotentraining: Piloten werden in der Kammer auf die physiologischen Herausforderungen vorbereitet, die mit Höhenflügen einhergehen. Insbesondere lernen sie, wie sie die Symptome von Hypoxie frühzeitig erkennen und Gegenmaßnahmen ergreifen können.
- Flugmedizinische Forschung: Die HKS wird für wissenschaftliche Untersuchungen zu den Auswirkungen von Unterdruck, Temperatur und Feuchtigkeit auf den menschlichen Körper verwendet. Dies beinhaltet auch Studien zur Höhenkrankheit, zur Akklimatisation sowie zu den Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit in dieser extremen Umgebung.
- Erprobung von Überlebens- und Schutzausrüstung: In der HKS wird Ausrüstung für Notfälle getestet, insbesondere Atemmasken und Sauerstoffsysteme, die bei plötzlichem Druckabfall in großer Höhe zum Einsatz kommen. Hier können reale Bedingungen simuliert werden, um sicherzustellen, dass die Ausrüstung unter extremen Bedingungen zuverlässig funktioniert.
- Training von Notfallszenarien: Die HKS ermöglicht auch das Training für Notfälle, z. B. bei einem plötzlichen Druckabfall oder einem Ausfall des Sauerstoffsystems im Flugzeug.
- Training Höhenmedizin für Sanitätspersonal:Dieser Lehrgang wurdeunter dem Eindruck der Auslandseinsätze auf Befehl des damaligen Inspekteurs des Sanitätsdienstes, Generaloberstabsarzt Dr. Nakath und durch den Generalarzt der Luftwaffe, Generalarzt Dr. Rödig, eingerichtet und fand bis 2022 nahezu jährlich statt.
Grundlagen der Höhenkrankheit und hyperbare Sauerstofftherapie
Militäreinsätze in großen Höhen sind von großer Bedeutung, da etwa 85 % aller bewaffneten Konflikte weltweit in Gebirgsregionen stattfinden. Die akute Höhenkrankheit (Acute Mountain Sickness – AMS) tritt auf, wenn dem Organismus nicht ausreichend Zeit gegeben wird, sich an den niedrigeren Sauerstoffpartialdruck in großen Höhen anzupassen [13]. Dies kann zu Kopfschmerzen, Übelkeit, Müdigkeit und in schwereren Fällen zu Lungen- oder Hirnödem führen [7][14]. Dabei ist die Anfälligkeit von Soldaten für die Höhenkrankheit etwa doppelt so hoch wie die von zivilen Bergsteigern [16]. Bei solchen Symptomen, insbesondere bei schwerer Ausprägung, ist die beste Therapie der sofortige Abstieg [6]. Dieser kann jedoch häufig nicht durchgeführt werden, da der Patientenzustand, schlechtes Wetter, schlechte Licht- und damit Sichtverhältnisse sowie schwieriges Gelände oder tiefer gelegene Lager bereits abgebaut sind und somit dort keine Infrastruktur mehr vorhanden ist [3][9]. Im militärischen Kontext lässt die Auftragserfüllung und die militärische Bedrohungslage oft keinen Abstieg zu [8].
Mit dem hyperbaren Rettungssack steht eine mobile Möglichkeit für eine initiale und zeitlich begrenzte Behandlungsoption zur Verfügung [2], um in der Höhe durch eine künstlich erzeugte Überdruckumgebung die Sauerstoffverfügbarkeit in der Atemluft zu erhöhen. Obwohl der Patient am gleichen Ort und auf gleicher terrestrischer Höhe verbleibt, wird er auf ein niedrigeres Höhenniveau „verbracht“, was physiologisch einem Abstieg gleichkommt.
Funktionsweise des hyperbaren Rettungssacks
Ein hyperbarer Rettungssack funktioniert nach einem einfachen Prinzip: Der Patient wird in einen luftdicht verschlossenen Sack gelegt, der dann mittels einer Pumpe unter Überdruck gesetzt wird. Dadurch wird die simulierte Höhe im Sack deutlich reduziert – etwa um 1 500 bis 2 500 Höhenmeter –, was die Sauerstoffverfügbarkeit für den Patienten erhöht. Dies bietet eine schnelle Linderung der Symptome der Höhenkrankheit, insbesondere der lebensbedrohlichen Formen wie Höhenlungenödem (HAPE) oder Höhenhirnödem (HACE) [9][15].
Am meisten verwendet werden der Gamow Bag oder der CertecBag®. Ein weiteres Modell, der PAC-Sack, wird nach Aussage des australischen Herstellers in Europa nicht ausgeliefert und hat bauartbedingt den Nachteil, dass Patienten längs hineingeschoben werden müssen, was äußerst schwierig ist, falls ein Patient nicht selbst aktiv mitarbeiten kann. Die folgende Betrachtung bezieht sich daher auf die erstgenannten Fabrikate:
Gamow Bag: Dies ist ein von der Firma Chinook Medical Gear Inc. (USA) hergestellter weit verbreiteter, robuster hyperbarer Sack, der seit Jahrzehnten im Einsatz ist. Er hat sich als zuverlässige Option für die Behandlung von AMS, HAPE und HACE bewährt. Er lässt sich relativ schnell aufpumpen (in etwa 2 min) und ermöglicht es, die simulierte Höhe um bis zu 2 000 m zu senken. Wegen der zahlreichen kreuzenden Riemen kann die Verbringung in den Sack bei nicht mitwirkungsfähigen Patienten schwierig sein.
CertecBag®: Dieses Modell der französischen Firma Certec zeichnet sich durch sein geringes Eigengewicht und die einfache Handhabung aus, was es besonders für Bergsteiger und Expeditionsteams attraktiv macht. Der CertecBag® ist zudem kompakter als der Gamow Bag, was bei extremen Unternehmungen, wo das Gewicht und das Packmaß eine große Rolle spielen, vorteilhaft sein kann. Es gibt zwei Varianten mit unterschiedlich hohem Innendruck (180 mbar und 220 mbar), von denen jede eine stärkere Reduktion der simulierten Höhe im Vergleich zum Gamow Bag erreicht. Von uns wurde während des Lehrgangs in der HKS die Variante mit 180 mbar Innendruck (Trekking) verwendet. Die beispielhaften Berechnungen (Abbildungen 3 und 4) wurden mit der 220 mbar Variante (MAM’OUT) durchgeführt.
Einsatzempfehlungen internationaler Fachgesellschaften
Führende Fachgesellschaften wie die International Society for Mountain Medicine (ISMM), die Union Internationale des Associations d’Alpinisme Medical Commission (UIAA MedCom) und die Wilderness Medical Society (WMS) empfehlen den Einsatz [1][11][12] eines hyperbaren Rettungssacks in Fällen, in denen ein Abstieg nicht sofort möglich ist [6]. Typische Symptome für den Einsatz sind starke Kopfschmerzen, Erbrechen, Lungenödem-Anzeichen (z. B. Kurzatmigkeit und Leistungseinbruch) oder neurologische Symptome wie Verwirrung [9][15].Die empfohlene Dauer der Behandlung variiert, liegt aber typischerweise zwischen ein und zwei Stunden pro Sitzung [11]. Wiederholte Sitzungen können nötig sein, besonders wenn die Umstände den Abstieg weiterhin verzögern. Eine rasche Besserung der Symptome ist häufig nach 30–60 min zu erwarten. Diese sollte idealerweise genutzt werden, um mit dem Patienten, falls möglich, abzusteigen bzw. ihn abzutransportieren [3].
Anwendung des Rettungssacks
Zur Durchführung wird der Patient in den Rettungssack gelegt, dieser verschlossen und mit einer Pumpe der Druck im Inneren so weit erhöht, bis sich das integrierte Druckventil öffnet. Anschließend muss weiter gepumpt werden, um den Patienten mit Frischluft zu versorgen. Es sind schon Bergsteiger wegen mangelnder Luftzufuhr und CO2-Anreicherung gestorben, weil die Gruppe dieses Erhaltungspumpen nicht durchgeführt hat. Während der Behandlung sollte der Zustand des Patienten regelmäßig überwacht werden. Ideal sind ein am Patienten angeschlossenes Pulsoxymeter sowie ein barometrischer Höhenmesser im Rettungssack zur Erfolgskontrolle [11]. Des Weiteren kann die Therapie im Sack mit einer Sauerstoffinsufflation und Medikamenten gegen Höhenerkrankungen ergänzt werden. Zudem ist auf eine ausreichende Isolation zum Boden zu achten. Da in vielen Fällen nicht unerhebliche Übelkeit besteht, sollte dem Patienten ein Beutel für den Fall des Erbrechens während der Therapie mit in den Sack gegeben werden. Wenn vorhanden, können vorab abschwellende Nasentropfen zur Erleichterung des Druckausgleichs appliziert werden. Eine durchgängige psychologische Betreuung des lebensbedrohlich erkrankten Patienten und eine kontinuierliche Überwachung durch das Sichtfenster verstehen sich von selbst. Auch wenn das Prinzip einfach ist, muss die Anwendung geübt werden [11], insbesondere da eine reale Anwendungssituation mit hohem Stress verbunden ist und die Begleitpersonen des Patienten meist ebenfalls Höhensymptome verspüren.
Diese Schulung erfolgte beim Lehrgang „Höhenmedizin für Sanitätspersonal“. Die HKS ermöglichte hierfür eine ideale und sichere sowie sehr anschauliche Praxisdemonstration. Dies soll im Folgenden vorgestellt werden.
Ausbildung und Erprobung in der HKS
Während des Lehrgangs „Höhenmedizin für Sanitätspersonal“ erfuhren die Lehrgangsteilnehmer eine Sauerstoffmangeldemonstration auf 15 kft (4 572 m) in der HKS. Neben Tests zum Farbsehen und zur Konzentrationsfähigkeit wurde ein Überdruckrettungssack (CertecBag®) real erprobt. Die Handhabung wurde am Vortag geschult. Ein Lehrgangsteilnehmer, versehen mit einem angeschlossenen Pulsoxymeter und einem barometrischen Höhenmesser, legte sich in den Rettungssack. Dieser wurde verschlossen und von den anderen Lehrgangsteilnehmern aufgepumpt sowie die Frischluftzufuhr in der Folge aufrechterhalten (Abbildung 1).
Abb. 1: CertecBag® Variante Trekking mit 180 mbar Innendruck (Bildquelle: Raimund Lechner)
Sobald sich durch das Pumpen im Rettungssack ein Überdruck aufgebaut hatte, fiel für die Lehrgangsteilnehmer sehr anschaulich die Höhe am barometrischen Höhenmesser, welcher im Sack platziert wurde und durch ein Sichtfenster beobachtet werden konnte. Etwas verzögert stieg beim Probanden die Sauerstoffsättigung um etwa 25 %-Punkte auf nahezu 100 %. Die, bedingt durch die Höhenhypoxie erhöhte Pulsfrequenz fiel parallel dazu ab. Innerhalb von nur 5 min wurde ein physiologischer Abstieg um 2 000 m erreicht. Am Ende der Demonstration wurde der Druck im Rettungssack langsam abgelassen und die Kammerhöhe wieder erreicht. Dabei fiel die SpO2 wieder ab und der Puls stieg wieder an (Abbildung 2).
Abb. 2: Verwendung des Überdruckrettungssacks (CertecBag® Trekking) in 15.000 ft (4572 m): Innerhalb von 5 min „steigt“ die innenliegende Person physiologisch um 2 000 m ab. Sobald sich im Sack ein relevanter Druck aufgebaut hat, steigt die SpO2 um etwa 25 %-Punkte an.
Diskussion
Das Ausmaß des erzielbaren physiologischen Abstiegs hängt von der Ausgangshöhe und dem verwendeten Rettungssack ab. Je höher die Ausgangshöhe, desto größer ist der Effekt (Abbildung 3). Auch bestehen technische Unterschiede zwischen den verschiedenen Überdrucksäcken, die in Tab. 1 aufgeführt sind, und sich auf die erzielbare Abstiegshöhe auswirken.
Abb. 3: Gamow- und CertecBag® (220 mbar-Version) im Vergleich: Je höher die Ausgangshöhe, desto größer ist der Abstiegseffekt; beispielhaft in 3 000m: um 1 450 m beim Gamow Bag vs. 2 200 m beim CertecBag® bzw. in 7 000 m: 2 130 m beim Gamow Bag vs. 3 175 m beim CertecBag®.
Tab. 1: Spezifikation von Gamow- und CertecBag®
Überdruckrettungssäcke werden üblicherweise im Höhenbereich zwischen 3 000 m und 7 000 m angewendet. Unterhalb 3 000 m sind schwere Formen der Höhenkrankheit sehr selten, oberhalb 7 000 m wird die Anstrengung für das notwendige Pumpen so groß, dass eine Anwendung in der Regel nicht mehr möglich ist. Da der Innendruck des CertecBag® mit 220 mbar höher als beim Gamow Bag (138 mbar) ist, wird mit dem CertecBag® eine größere Abstiegshöhe erzielt. Mit dem Gamow Bag wird auf 3 000 m ein Abstieg um 1 450 m und auf 7000 m ein Abstieg um 2 130 m erreicht. Mit dem CertecBag® wird auf 3 000 m ein Abstieg um 2 200 m und auf 7 000 m ein Abstieg um 3175 m erreicht.
Abb. 4: Inspiratorischer O2-Partialdruck, welcher in der entsprechenden Höhe im Gamow Bag und im CertecBag® (220 mbar-Version) im Vergleich zur natürlichen Umgebung erreicht wird.
Aus Anwendersicht spielt dies jedoch keine relevante Rolle, da auch beim Gamow Bag die erzielte Abstiegshöhe völlig ausreicht. Für den Realabstieg wird ein Abstieg um 300–500 m bzw. zur Höhe der letzten symptomfreien Nacht empfohlen [2]. Bei lebensbedrohlichen Formen wie dem Höhenlungenödem oder Höhenhirnödem sollte um mindestens 1 000 Höhenmeter abgestiegen werden [6]. Für den militärischen Kontext, wenn z. B. die Höhenverbringung durch einen raschen Lufttransport in die Höhe erfolgte, besteht daher selbst für den Gamow Bag noch eine ausreichende Sicherheitsreserve.
Fazit
Überdruckrettungssäcke sind ein faszinierendes Beispiel dafür, wie praxistauglich angewandte Physiologie Menschenleben retten kann. Auch wenn deren Anwendung prinzipiell einfach ist, bedarf es einer Anwenderschulung. Hierfür bietet die HKS in Königsbrück ideale Bedingungen, da hier in einer sicheren Umgebung nicht nur die technische Handhabung eines solchen Rettungssacks geübt, sondern die beeindruckende physiologische Wirkung live erlebt werden kann. Die Visualisierung der ansteigenden Sauerstoffsättigung, des fallenden Pulses und des realen physiologischen Abstiegs verbessert den Lernerfolg erheblich.
Literatur
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Tannheimer M, Lechner R, Küpper T, Werner A: Abstieg um 2000 m in fünf Minuten – praxisorientierte Ausbildung in der Höhen-Klima-Simulationsanlage der Deutschen Luftwaffe. WMM 2025; 69(10-11): 492-497.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-760
Für die Verfasser
Oberfeldarzt d. R. Prof. Dr. Markus Tannheimer
Abteilung Allgemein- und Visceralchirurgie, ADK-Klinik Blaubeuren
Ulmer Str. 26, 89143 Blaubeuren
E-Mail: m.tannheimer@adk-gmbh.de
Manuscript Data
Citation
Tannheimer M, Lechner R, Küpper T, Werner A: Descent of 2000 Meters in Five Minutes – Hands-on Training in the Altitude Climate Simulation Facility of the German Air Force. WMM 2025; 69(10-11E): 8.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-761
For the Authors
Lieutenant Colonel (MC Res.) Prof. Dr. Markus Tannheimer
Department of General Surgery, ADK-Hospital Blaubeuren
Ulmer Str. 26, D-89143 Blaubeuren
E-Mail: m.tannheimer@adk-gmbh.de