Wehrmedizinische Monatsschrift

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Editorial
Editorial
Taktische Medizin
„All for One – Alle für Einen“ – mehr als ein Motto


Taktische Medizin
CMC-Conference 2025 - Programm


Taktische Medizin
Combat Medical Care-Conference 2.​ und 3.​ Juli 2025:​ Main Track Vorträge





















Taktische Medizin
„All for One – alle für ein Ziel“





Taktische Medizin
Zusammenfassung der SOF Medic Meeting-Vorträge der CMC-Conference 2.​ und 3.​ Juli 2025





Wehrpharmazie/​Lebensmittelchemie
Food and Water Defense – Erkenntnisse des Russland-Ukraine-Krieges für die (hoch)mobile Lebensmittel- und Trinkwasseruntersuchung



Höhenmedizin
Abstieg um 2 000 m in fünf Minuten – praxisorientierte Ausbildung in der Höhen-Klima-Simulationsanlage der Luftwaffe




Aus dem Sanitätsdienst
Generalstabsarzt Dr.​ Stephan Schmidt in den Ruhestand verabschiedet
Aus dem Sanitätsdienst
Fünf leitende Mitarbeiter am Bundeswehrkrankenhaus Ulm zu ­außerplanmäßigen Professoren ernannt


Mitteilungen der DGWMP e.​V.​
Geburtstage November-Dezember 2025

Taktische Medizin PDF

Combat Medical Care-Conference 2. und 3. Juli 2025:
Zusammenfassung der Main Track Vorträge

Katharina Becka, Stefan Lennartza, Johannes Fritscha, Florent Jossea,b

a Department für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie – Bundeswehrkrankenhaus Ulm

b Arbeitskreis Taktische Medizinder Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie, Bonn

1.Session – Keynote

Run, Hide or Fight – Trauma Care on the Future Battlefield

Paul Parker (GBR)


Colonel Paul Parker, Facharzt für Trauma- und orthopädische Chirurgie der British Army, skizzierte in seinem Vortrag die Entwicklung der Rolle von Combat Medics und ärztlichem Personal in bewaffneten Konflikten mit asymmetrischen Gegnern und technologisch hochentwickelten Bedrohungen wie Drohnen, Jamming und GPS-Tracking. Er führte aus, wie medizinisches Personal in Zukunft ausgebildet und ausgerüstet sein und wie es umdenken muss, um in der Zukunft überlebensfähig zu sein. Medizinische Kräfte sind mittlerweile selbst zu Zielen geworden, welche mit offensivem Verhalten gegen sich rechnen müssen. Dabei kommen optisch geführte Drohnen mit 10–40 km reichender Kabelverbindung zur Aufklärung und Bekämpfung, eine Verfolgung durch Wearables wie Smartwatches sowie die Aufklärung von medizinischem Gerät anhand elektromagnetischer Signaturen zum Einsatz. Dieser von ihm beschriebene Wandel auf dem Schlachtfeld erfordere eine neue taktische Doktrin, welche er mit den Schlagworten

„Disperse – Disappear – Declare – Defend – Discipline – Deny – Delay – Delegate“

beschrieb.

Auf dem Schlachtfeld verbluten oder versterben Patienten an Infektionen, bevor eine Evakuierung möglich ist. Der Blutbedarf beläuft sich in Einzelfällen auf bis zu 193 Einheiten, dazu kommt eine 100 %-ige Letalität bei Abdominal- oder Thoraxverletzungen mit Gefäßbeteiligung, falls keine chirurgische Intervention erfolgt.

Eine Maßnahme, diesen Herausforderungen zu begegnen, sei das „18-Ω-Curriculum“, welches die Ausbildung von Nicht-Chirurgen in Maßnahmen wie der single-syringe anaesthesia, der Junctional/Truncal Bleeding Control, des Abdominal Packings, des Schmerzmanagements, der Austere ICU oder des Prolonged Field Holdings vorsieht.

Key Messages:
„Without adaptable thinking, agile planning and allowing at-risk medical care, we will likely kill more wounded than the enemy.“

  • Klassische zivile Ausbildung ist nicht kompatibel mit den Anforderungen moderner Einsatzszenarien.
  • Die Medizin im Gefecht muss weg vom starren Rollenverständnis, hin zu:
    • handlungsfähigen Generalisten,
    • chirurgisch entschlussfreudigen Medics und
    • mental belastbaren Teams mit improvisatorischen Fähigkeiten.

Abb. 1: Mehrere Länder, darunter Israel, entwickeln Überlandplattformen für die Evakuierung von Verwundeten. (Bild: tactical-robotics.com)

 

2. Session – Reflections & Insights into Recent Conflicts

Medicine Under Fire: When Shelter is the Operating Room

Roman Kuziv (UKR)

Lieutenant Colonel Kuziv stellte die Entwicklung medizinischer Versorgungseinrichtungen in der Ostukraine vor. Angesichts gezielter Angriffe auf medizinische Infrastruktur wurde eine Versorgungslösung etabliert, die Verwundetenstabilisierung selbst unter direktem Beschuss ermöglicht. Weg von zentralen großen Einrichtungen hin zu unterirdischen dezentralen Verschlägen vereinen sie chirurgische Kapazitäten, Logistik und Ruhebereiche auf kleinstem Raum – und sind dabei weitgehend improvisiert aufgebaut. Vom Feind inspiriert, hat sich dieses Konzept als überlebensnotwendig in einer Umgebung erwiesen, in der Evakuierung nicht jederzeit gewährleistet ist, eine allgegenwärtige Gefahr von Drohnen ausgeht und die Genfer Konventionen nicht mehr gelten. Neben den genannten militärischen Vorteilen geht weiter noch ein moralischer Wert für Soldaten und Zivilbevölkerung von den Sheltern aus.

Key Messages:

  • Unterirdische Versorgungspunkte als Antwort auf gezielte Angriffe auf medizinische Infrastruktur.
  • Stabilisierungsmaßnahmen auch unter Beschuss möglich.
  • Nähe zur Frontlinie verbessert Überlebenswahrscheinlichkeit.
  • Kombination von Chirurgie, Logistik und Schutz in einer Einheit.

 

From Innovation to Action: A System-Level ­Approach to Adaptive Combat Critical Care

Elon Glassberg (ISR)

Brigadier General Prof. Dr. Elon Glassberg von den Israel Defense Forces (IDF) berichtete über die Änderungen in der taktischen Verwundetenversorgung (TVV) sowie der Evakuierung von Verwundeten seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023.

Zur Messung der medizinischen Performance bei der TVV zog er die „Case Fatality Rate“ (CFR) heran, die seit den 1990er Jahren ca. 15 % beträgt.

Er erläuterte den Aufbau der Rettungskette in der israelischen Armee: Dort gibt es einen Arzt bzw. Notfallsanitäter pro Kompanie (ca. 35 Soldaten) an der Frontlinie, die für die primäre Versorgung der Verwundeten zuständig sind und auch über Blutprodukte wie FFP und Whole Blood verfügen. Mittels der Brigade „Evac Capsule“, die mit einem Intensivmediziner und einer Krankenschwester besetzt ist, wird der Patient zum Traumazentrum verbracht. Die Zwischenstationen „Battalion Aid Station“ und „Medical Company“ (ICU+OP) sind aus der Rettungskette herausgenommen worden, um eine schnellere Ankunft im Traumazentrum leisten zu können.

Die Versorgung Verwundeter wurde stark eingeschränkt; Eingriffe wie Nadeldekompressionen oder Thoraxdrainagen finden präklinisch kaum noch statt. Hierdurch hätten sie sowohl die Zeit vom Verwundungsort (POI) bis zur Ankunft im Traumazentrum von mehreren Stunden auf aktuell 48 min reduzieren, als auch die CFR auf knapp unter 7 % senken können.

Durch die Umstellung der Dokumentation von Papier auf Tablet-gesteuerte Aufzeichnung der Daten, die durch bloßes Anhalten an ein anderes Tablet übertragen werden können, hätten sie zudem eine schnelle Einspeisung der Daten in ihr System, anhand derer sie ihre Vorgehensweise bei Bedarf stetig anpassen könnten.

Key Messages:

      • Case Fatality Rate (CFR) bisher seit den 90ern um 15 % konstant geblieben.
      • Durch Beschleunigung der Verwundetenevakuierung (aktuell ~ 48 min von POI bis zur Ankunft im Krankenhaus) deutliche Senkung der CFR auf ~7 % möglich.
      • Von Treatment focused zu Evacuation focused durch verschlankte Behandlungsprotokolle (Do less!).
      • Gesundheitssystem auf Notfälle/Kriege/Katastrophen vorbereiten.
      • Adapt, adapt, adapt! Stetige Anpassung an die lokalen Gegebenheiten.

 

3. Session – Implications for Coming Conflicts

Austere Trauma Resuscitation in Large-Scale ­Combat Operations:

Insights from Peer-to-Peer Engagements in Ukraine

Eric Akrish (US)

Der Vortrag von Lieutenant Commander Akrish, gemeinsam mit Major Kaswer und Staff Sergeant Brawn präsentiert, analysiert die aktuellen medizinischen Erkenntnisse aus dem Ukrainekrieg im Kontext der präklinischen Traumaversorgung unter LSCO-Bedingungen (Large Scale Combat Operations).

Auf Basis von realen Daten (2014–2024), Interviews und MEDEVAC-Protokollen wurde in dem Vortrag dargelegt, wie moderne Kriegsführung unter Near-Peer-Conditions die Anforderungen an Tactical Medicine grundlegend verändert.

Afghanistan

Bei den Erfahrungen aus Afghanistan bezogen sich die Vortragenden dabei sowohl auf MEDEVAC-Protokolle und chirurgische Einsatzberichte als auch auf Interviews mit Sanitätspersonal und setzten den Fokus auf Evakuierungszeiten, Verletzungsmuster, Überlebensraten, Innovationen und Kooperationen. Hinsichtlich Verletzungsursachen waren bei Verletzungen auf Seiten des Militärpersonals Sprengfallen, Schussverletzungen und Verbrennungen führend, wohingegen bei der Zivilbevölkerung Raketen, Trümmer und Explosionen am häufigsten vorkamen.

Typische Verletzungsmuster waren Barotraumata, Extremitätenverletzungen und Polytraumata. Hinsichtlich der Verletzungsschwere handelte es sich zum großen Teil um Patienten der Stufe „gering“ und „moderat“ sowie der Stufe „Tod absehbar“. Die Evakuierungszeiten betrugen bei Militärpersonal meistens 20 bis 60 Minuten, teilweise bis zu 8 Stunden, bei Zivilpersonen waren diese häufig noch länger. Als Evakuierungsmittel wurden am Boden gepanzerte Fahrzeuge und Boote genutzt, über 90 % des Militärpersonals wurde allerdings über die Luft evakuiert.

Die Überlebensraten bei Militär- und Zivilpersonal betrugen jeweils 50 % bis 85 %, abhängig vom Einsatzgebiet. Die Point-of-Injury Care wurde meist durch Kameradenhilfe oder Selbsthilfe gewährleistet.

Ukraine

An Innovationen im Einsatz wurden neuartige UAV (Unmanned Aerial Vehicle )-Drohnen, neue Methoden der Echtzeitkommunikation, Erkenntnisse in der Damage Control Surgery und pathologische Auswirkungen von Prolonged Field Care (PFC) sowie die Notwendigkeit zivil-militärischer Zusammenarbeit und Ausbildung vorgestellt.

Beim Vergleich des Ukrainekrieges mit den Konflikten im Irak und in Afghanistan zeigten sich ähnliche Verletzungsmuster, die jedoch auf unterschiedlich verfügbare Ressourcen und Infrastruktur trafen. Die PFC wurde zunehmend auch in urbanen, nicht-klassischen Settings durchgeführt und frühere Annahmen, wie ein immer verfügbarer AirMedEvac, erweisen sich als mittlerweile nicht mehr gültig.

Die Ukraine könne dabei als „real-time Labor für Militärmedizin“ aufgefasst werden. Bei limitierten Ressourcen zeigt sich ganz besonders, dass Improvisation, Partnerschaften und schnelle Anpassung überlebensentscheidend sind.

Key Messages:

      • Der Ukrainekrieg liefert reale und übertragbare medizinische Lehren für LSCO, insbesondere im Bereich PFC und Ressourcennutzung.
      • Evakuationen sind oft langwierig (2–8 h) – PFC ist nicht Ausnahme, sondern Regelfall.
      • Ähnlichkeit der Verletzungsmuster mit denen im Global War On Terrorism (GWOT) besteht, aber andere Infrastruktur und taktische Bedingungen.
      • Militärmedizinische Erfolge basieren auf innovativer Improvisation, nicht idealen Bedingungen – z. B. Drohnenunterstützung, modulare Evakuation.
      • Zivilmilitärische-Kollaborationen und medizinische Netzwerke waren entscheidend für das Überleben – z. B. zivile Krankenhäuser als Sekundärversorger.
      • Real-time Communication, Telemedizin und Rapid Surgical Access verändern die Rolle der taktischen Medizin im Feld.
      • Selbst- und Kameradenhilfe (Buddy Aid) spielt eine zentrale Rolle – viele Verwundete erhalten initial keine professionelle Versorgung.
      • Fehlende Register und fragmentierte Datenlage behindern systematisches Lernen – strukturierte Dokumentation bleibt essenziell.
      • Kontinuierliche Anpassung und Innovation entscheiden über Überleben, nicht starre Protokolle oder „Lehrbuchmedizin“.

Fazit: Traumaversorgung in LSCO muss für Chaos, Ressourcenmangel und komplexe Gegner gerüstet sein – der Krieg in der Ukraine liefert dafür die Blaupause.


 

Ukraine Lessons Learned: Medical Planning Tool in Large-Scale Operations

Denys Surkov (UKR)

Dr. Denys Surkov analysierte die strukturellen Schwächen klassischer Rettungsketten unter den Bedingungen großangelegter konventioneller Operationen. Die NATO-typische „Chain of Survival“ – vom Point of Injury bis zur definitiven Versorgung – sei in der Ukraine nicht mehr umsetzbar: Angriffe auf medizinisches Personal, fehlende Evakuierungssicherheit und logistische Unterbrechungen führten zu einer kritischen Versorgungslücke.

Als Antwort wurde das Modell „CM-PEC“ entwickelt (Casualty, Materials, Personnel, Environment, Command & Signal), das Verwundetenversorgung nicht mehr ausschließlich entlang starrer ROLE-Strukturen denkt, sondern fünf Einflussfaktoren integriert:

      1. Verwundungsprofil,
      2. Material,
      3. Personal,
      4. Umgebung und
      5. Führung.

Ziel ist eine praxisorientierte und dynamische medizinische Einsatzplanung.

Ein zweiter zentraler Gedanke betraf die Verlagerung medizinischer Expertise näher an die Front – ohne dabei zwangsläufig auf Ärzte zurückzugreifen. Stattdessen sollen die Fähigkeiten von Combat Medics durch gezielte Kompetenzvermittlung erweitert und nichtärztliches Personal durch Telemedizin unterstützt werden. Dieses Multiplikationsprinzip ermögliche eine resilientere, dezentrale Versorgung, auch unter feindlichem Druck und bei langen Evakuierungszeiten.

Key Messages:

      • Der Ukrainekrieg zeigt drastische Lücken im medizinischen Planungsstandard für LSCO – viele NATO-Ansätze sind zu statisch und unpassend.
      • Evakuierungszeiten von 6–24+ Stunden sind Realität – klassische TCCC reicht für Category A-Patienten in dieser Zeit nicht aus.
      • „Good medicine makes for bad tactics“ – und umgekehrt: Ein Balanceakt zwischen medizinischem Ideal und taktischer Machbarkeit ist nötig.
      • CM-PEC (Casualty, Materials, Personnel, Environment, Command/Signal) bietet einen praxisnahen medizinischen Planungsrahmen für Einsätze.
      • Kompetenzbasierte Ausbildung ist entscheidend, insbesondere bei begrenzter Verfügbarkeit medizinischer Fachkräfte und hohem Risiko.
      • Erweiterte Fähigkeiten für CM und CLS (PCC statt nur TCCC) sind notwendig – u. a. definitive Atemwege, Blutgabe, Monitoring, Telemedizin.
      • Die Versorgungskette in der Ukraine ist nicht standardisiert – von POI bis Role 2 klaffen strukturelle Lücken.
      • Systematisches Medical Recon & Planning fehlt oft – dies führt zu Ressourcenverschwendung, Sicherheitsrisiken und schlechter Triage.
      • Train-the-Trainer-Ansätze und „Smart Selection“ verbessern die Resilienz und Qualität auch bei nicht-professionellen Helfern.

Fazit: LSCO braucht realitätsnahe, dynamische und kompetenzbasierte Medizin – die Ukraine liefert dafür ein aktuelles, bitteres Lehrbuch.

 

 

MedEvac Train – Learning from the Past

Martin Bricknell (UK)

Lieutenant General (retired) Prof. Martin Bricknell (Royal Army Medical Corps) referierte über die Geschichte und mögliche zukünftige Einsatzbereiche des „MedEvac Train“.

Diese Art der Verwundetenevakuierung sei bereits u. a. in den beiden Weltkriegen, im Kalten Krieg und zuletzt auch in der COVID-Pandemie verwendet worden. Auch in der Zukunft würde er den Bedarf solcher Züge sehen, da es bei LSCO (Large-Scale Combat Operations), wie aktuell im Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine, zu einer hohen Anzahl an Verwundeten kommen wird, die in der Masse nicht alle luft- oder bodengebunden (Straße) evakuiert werden können.

Als Vorteile des MedEvac Train nannte Prof. Bricknell unter anderem die verringerte notwendige Anzahl von medizinischem Personal pro Patient. Zudem sind die Hauptbahnhöfe in den Zielstädten meist zentraler gelegen als Flughäfen, wodurch eine schnellere Verteilung in umliegende Krankenhäuser möglich ist.

Wichtig für die Planung solcher MedEvac Züge sind vor allem Überlegungen hinsichtlich der Anzahl der Betten sowie der Logistik mit Schwerpunkt auf Sauerstoff- und Wasserversorgung, Elektrizität und medizinischem Equipment. Zudem sind Kontrollzentren nötig, die die Verteilung der Verwundeten steuern. Hier sind vorprogrammierte Abläufe von Vorteil.

 

Abb. 2: Schon im 1. Weltkrieg kamen britische Ambulanzzüge in Frankreich zum Einsatz (Bild oben links). Die Ausrüstung moderner Züge mit Intensivbetten, Pflegebetten oder Tragensystemen bietet umfassende Möglichkeiten zum Transport großer Verwundetenzahlen und kann damit für LV/BV-Szenarien erhebliche Bedeutung haben. (Bilder: M. Bricknell)

Key Messages:

      • Railway MEDEVAC ist ein bewährtes Mittel für Verwundetentransport bei LSCO, insbesondere bei hohem Patientenaufkommen und eingeschränkter Luftrettung.
      • Historische Konzepte (z. B. Ambulanzzüge im 1. und 2. Weltkrieg) sind heute wieder aktuell – angepasst an moderne Technik und Logistik.
      • Eisenbahn bietet Vorteile: hohe Kapazität, stabile Versorgungsumgebung, vergleichsweise sichere und resiliente Transportoption.
      • Design moderner Ambulanzzüge erfordert umfassende Planung – Bettenanzahl, medizinische Ausstattung, Personalunterbringung, Strom, Wasser, Sauerstoff.
      • Gute Versorgung während des Transports hängt vom System ab, nicht nur vom Zug selbst – inkl. „Casualty Handling“ und „Casualty Regulation“.
      • Vernetztes Denken ist entscheidend – Übergabepunkte, Transportketten, medizinische Führung und Zuweisung von Ressourcen müssen funktionieren.
      • LSCO erfordert robuste, skalierbare medizinische Evakuierungssysteme, in die auch die Bahn wieder integriert werden sollte.
      • Viele Länder, wie die Ukraine, nutzen Eisenbahn MEDEVAC erfolgreich im Kriegseinsatz – dies kann als Modell für NATO- und EU-Planungen dienen.
      • Integration in zivil-militärische Strukturen (Mil-Mil & Civ-Mil) ist notwendig, insbesondere bei urbanen Zentren ohne geeignete Flugplätze.

Fazit: Railway MEDEVAC ist mehr als ein nostalgischer Rückblick – es ist ein realistisches und planbares Mittel für die Verwundetenversorgung von morgen.

 

Literaturempfehlungen

• Bricknell M, Finn A, Palmer J: For debate: health service support planning for large-scale defensive land operations (part 1). Journal of the Royal Army Medical Corps Jun 2019, 165(3): 173–175.

• Bricknell M, Finn A, Palmer J: For debate: health service support planning for large-scale defensive land operations (part 2). Journal of the Royal Army Medical Corps Jun 2019, 165(3): 176–179.

• Chavasse CCH: The Organization and Running of an Ambulance Train. BMJ Military Health 1940; 75: 227–235.

• Gerrard JJ: Notes on the Sanitary Arrangements on an Ambulance Train. BMJ Military Health 1905; 5: 265–266.

• Marble S, Barr J: Ambulance Trains – From the Crimean War to Ukraine. JAMA Network Open. 2023; 6(6): e2319687.


 

Implications for Western Countries in Large-Scale Operations

John Quinn (US)

John Quinn, der von 2022 bis heute an freiwilligen Missionen, unter anderem in der präklinischen Versorgung und klinischem Training teilnahm, stellte seine Erfahrungen und Handlungsempfehlungen für die westlichen Staaten auf der Grundlage seiner Erkenntnisse aus dem Ukrainekrieg dar.

Zunächst sei eine Ausweitung medizinischer Kompetenzen auf den unteren Versorgungsebenen notwendig, was möglicherweise das Risiko medizinischer Fehler erhöhe, aber dennoch eine verbesserte Überlebensrate ermöglicht.

Des Weiteren ist das Konzept Prolonged Field Care (PFC) künftig als Standard, nicht mehr als die Ausnahme zu betrachten. Dies bringe moralische Zwiespalte des behandelnden Personals bis hin zur Moral Injury mit sich und würde hinsichtlich der Dokumentation Grauzonen erschließen. Somit sind klare klinische Handlungsempfehlungen sowie Entscheidungsalgorithmen zur Entlastung des Personals notwendig.

Abb. 3: Lage in der Ukraine Anfang August 2025

Auch müssten dringend neue Blutspendekonzepte, wie das der Vollblutspende oder des „Low-Titer 0 Whole Blood“ im Feld etabliert werden. Hier sieht Quinn die Herausforderung in der Anpassung der entsprechenden Logistik und Ausbildung sowie allgemein in der hohen Innovationsnotwendigkeit.

Zuletzt müsse die medizinische Einsatzplanung anpassungsfähig an schwer zugängliche Umgebungen gestaltet werden, wie es dynamische und unsichere Einsatzräume, mit teilweise weiten Distanzen, Feindkontakt und eingeschränkter Kommunikation erfordern. Dieser Herausforderung muss mit gezieltem Training und einer verbesserten Zusammenarbeit medizinischer Teams der unterschiedlichsten Teilbereiche begegnet werden.

Key Messages:

      • Large Scale Combat Operations (LSCO) verlangen verfügbare, flexible, unkonventionelle medizinische Versorgung.
      • PFC ist die Regel, nicht die Ausnahme.
      • Mid-/Low-Level-Personal muss fortgeschrittene Maßnahmen sicher durchführen können.
      • Blutversorgung ist Dreh- und Angelpunkt moderner damage control Versorgung.
      • Training, einheitliche Algorithmen und internationale Zusammenarbeit sind die Grundlage moderner Einsatzmedizin.
      • SOF-Truths gelten universell.

 

4. Session: SOF Medical Strategy – Modeling the Future

Strategic Medical Change

Michael R. Hetzler (USA)

Zum Auftakt des Themenblocks „Medizinische Strategien von Spezialkräften – Zukunft modellieren“ gab Michael T. Hetzler in einem Video-Vortrag einen grundsätzlichen Impuls zum strategischen Neudenken medizinischer Einsätze. Dabei plädierte er für einen Wechsel der Perspektive. Medizinische Fähigkeiten seien nicht länger rein unterstützende Funktionen, sondern elementarer Bestandteil operativer Planung.

Moderne Konflikte sind nicht mehr mit linearen Modellen zu erfassen. Vielmehr sind Flexibilität, Interdisziplinarität und Systemintegration gefordert – auch und gerade im medizinischen Denken. Hetzler forderte die militärmedizinische Community unter anderem dazu auf, sich in die Denkweise von Kommandeuren einzufühlen, um medizinische Expertise wirkungsvoll in Führungsprozesse einzubringen – auf taktischer, operativer und strategischer Ebene.

Irreguläre Kriegsführung ist aus Sicht Hetzlers kein Randphänomen, sondern integraler Bestandteil zukünftiger Konflikte – sei es in Form von Stellvertreterkriegen, asymmetrischen Bedrohungen oder hybriden Operationen. Dabei verschieben sich sowohl die Frontlinien als auch die Anforderungen an militärmedizinisches Denken. Hetzler fordert daher eine explizite Integration medizinischer Expertise in die operative Planung irregulärer Szenarien. Das umfasst sowohl strategisches Verständnis als auch operative Verfügbarkeit. Die sanitätsdienstliche Struktur muss dafür flexibler, dezentraler und missionsspezifischer werden. Ein zentrales Element ist das MSIW-Komitee (Medical Support for Irregular Warfare), das innerhalb der Special Operations Medical Association (SOMA) als strategische Plattform für Doktrinentwicklung, Forschung und Ausbildung fungiert. Es soll den Dialog zwischen medizinischer Praxis, militärischer Führung und wissenschaftlicher Analyse strukturieren und stärken.

Key Messages:

      • Medizinische Fähigkeiten sind nicht länger rein unterstützende Funktionen, sondern elementarer Bestandteil operativer Planung.
      • Medizinische Planung muss strategisch und vorausblickend gedacht werden.
      • Offset-Medizin und neue Bedrohungsszenarien erfordern adaptive Konzepte.
      • Mediziner sollen auf allen Ebenen denken und das Lagebild der Führung verstehen.
      • Interdisziplinarität, Vernetzung und Szenarienkompetenz sind Schlüsselkompetenzen.
      • Medizin ist kein Reaktionsmittel, sondern strategischer Gestaltungsfaktor.

 

Joint Trauma System: Actual View and Saving Life with Data 

Jennifer Gurney/Ashli Carlson (US)

Der Vortrag von Colonel Jennifer Gurney, Leiterin des „Joint Trauma System“ (JTS), und Major Ashli Carlson stellte die Arbeit des JTS vor, welches das zentrale medizinische Qualitätssicherungs- und Weiterentwicklungssystem der US-Streitkräfte zur Verbesserung der Verwundetenversorgung im Einsatz ist.

Unter dem Leitspruch „Saving Lives with Data“zeigt das Team, wie systematische Datenerfassung und Analyse zur Entwicklung klinischer Leitlinien, Trainingsstandards und organisatorischer Verbesserungen führt – mit direktem Einfluss auf Überlebensraten.

Anhand konkreter Beispiele wird belegt, wie Maßnahmen wie die flächendeckende Einführung von Tourniquets, TXA, Whole Blood oder TCCC-Karten direkt aus dem Medical Performance Optimization (MPO)-Ansatz des JTS hervorgegangen sind.

 

Abb. 4: Ergebnisse aus dem JTS führten seit 2001 zu durchgreifenden Anpassungen der Behandlungsregime und hatten erheblichen Einfluss auf die Überlebens- und Rehabilitationsraten. (Bild: J. Gurney/A. Carlson)

Gleichzeitig thematisiert der Vortrag eine oft unterschätzte Schwachstelle: Gute Daten allein reichen nicht – sie müssen strategisch kommuniziert werden, um auf politisch-militärischer Ebene Wirkung zu entfalten.

Die zentrale Botschaft lautet:

Daten retten Leben – aber nur, wenn sie richtig erhoben, interpretiert und kommuniziert werden.

Key Messages:

      • Das Joint Trauma System (JTS) verbessert die Überlebensrate durch datengestützte Prozess- und Leistungsoptimierung.
      • Medical Performance Optimization (MPO) basiert auf dokumentierter Einsatzmedizin – ohne Dokumentation kein Lernen, keine Verbesserung, keine Rettung.
      • Erfolge wie Tourniquet, TXA und Whole Blood beruhen auf systematischer Datenauswertung – „You have lived the results“.
      • „If it didn’t get documented, it didn’t exist.“ – fehlende Dokumentation verhindert zukünftige Lebensrettung.
      • Gute Daten müssen strategisch kommuniziert ­werden – nicht nur medizinisch, sondern im „Commander-Sprech“ (Risiken, ROI, Timing, Umsetzbarkeit).
      • Fehlende Kommunikation erzeugt eine strategische Lücke, obwohl medizinisch alles vorhanden wäre.
      • Medizinische Teams müssen lernen, operativ und politisch zu argumentieren, um Ressourcen, Plattformen und Logistik zu sichern.
      • Ein datengestütztes Trauma-System schützt nicht nur Leben, sondern unterstützt direkt die Einsatzfähigkeit und Wirkung militärischer Kräfte.
      • Wissenschaftliche Evidenz reicht nicht aus – sie muss wirkungsvoll erzählt und in Entscheidungsprozesse eingespeist werden.
      • „Truth doesn’t win. Truth told well does.“ – Kommunikation ist ein Force Multiplier in der militärmedizinischen Transformation.

 

Medical Considerations in High-Risk Maritime Operations

Fredrik Granholm (SWE)

In seinem Vortrag sprach Dr. Granholm über die besonderen medizinischen Herausforderungen bei hochriskanten maritimen Einsätzen, wie Anti-Terror-Operationen, Anti-Schmuggel-Missionen, Anti-Piraterie-Einsätzen und Reaktionen auf hybride Bedrohungen, beispielsweise Drohnenangriffe oder Cyberattacken.

Risiko: Hypothermie

Allgemein zeichnen sich maritime Hochrisiko-Einsätze als kalt, nass, dunkel und unwirtlich aus, was eine spezielle Vorbereitung von Personal und Material erfordert. Als zentrales medizinisches Risiko beschrieb er die Hypothermie, welche durch schnellen Temperaturverlust zu reduzierter physischer Leistungsfähigkeit, beeinträchtigter Entscheidungsfindung, Verlust feinmotorischer Fähigkeiten und Abnahme der Griffkraft führt. Entscheidend ist hier die Prävention mittels angepasster Schutzkleidung.

Traumaversorgung unter erschwerten Bedingungen

Des Weiteren führte er die Traumaversorgung unter erschwerten Bedingungen an. Hier sind als besondere Herausforderungen die engen Räume auf mehreren Ebenen mit limitiertem Zugang unter ständiger Bewegung, Vibration und Feuchtigkeit zu nennen, welche eine koordinierte Triage, verlässliches Casualty Tracking, eine geordnete Evakuierung über mehrere Ebenen hinweg sowie den Erhalt der Leistungsfähigkeit unter widrigsten Bedingungen erfordern.

Abb. 5: Schutz vor Kälte spielt bei maritimen Einsätzen eine Schlüsselrolle auch bei der Verwundetenversorgung. (Bild: Vortrag
F. Granholm)

Komplexität maritimer Operationen

Zusätzlich steigert sich die Komplexität maritimer Operationen zunehmend, nicht nur im Hinblick auf hybride Bedrohungen durch Terrorismus und organisierte Kriminalität, sondern auch durch konventionelle Gefechte im Verbund mit möglichen Drohnenangriffen, Cyberangriffen und chemischen, biologischen, radiologischen, nuklearen und explosiven (CBRNE) Kampfmitteln.

Key Messages:

      • Maritime Hochrisikoeinsätze sind medizinisch extrem anspruchsvoll – vor allem durch Umgebung, Bewegung und Bedrohungslage.
      • Hypothermie ist eine ernsthafte Gefahrenquelle, die frühzeitig verhindert werden muss – z. B. durch angepasste Kleidung und Schutzmaßnahmen.
      • Kälte reduziert Feinmotorik, Entscheidungsfähigkeit und Griffkraft, was lebensrettende Maßnahmen erheblich erschwert.
      • Medizinische Versorgung auf See erfordert Anpassung an enge, bewegte und mehrstöckige Umgebungen – inklusive spezieller Evakuierungs- und Triagekonzepte.
      • Traumaversorgung muss trotz eingeschränkter Ressourcen und Logistik effektiv möglich sein, auch unter extremen Wetterbedingungen.
      • Hybrid Warfare (z. B. Drohnen, Terror, Cyber) stellt neue Anforderungen an die taktische Verwundetenversorgung auf See.
      • Vorbereitung und Training müssen realitätsnah erfolgen, nicht unter idealisierten Bedingungen.
      • Der maritime Raum darf nicht als Randbereich der Taktischen Medizin verstanden werden, sondern als eigenständiges Hochrisikoszenario.
      • Multidisziplinäre Zusammenarbeit und spezialisierte SOPs sind essenziell, um medizinisch auf maritime Gefechtslagen vorbereitet zu sein.

Fazit: „Don’t get cold in the first place“ – Prävention, Szenarientraining und Anpassungsfähigkeit entscheiden über Erfolg oder Misserfolg.


 

Ridge Healer: Lessons Learned from Irregular ­Warfare Medical Training

Jason R. Pickett (USA)

Mit besonderer Bühnenpräsenz stellte Lieutenant ­Colonel Jason Pickett das in West Virginia und South Carolina angewandte Ausbildungskonzept „Ridge Healer“ vor – ein realitätsnahes Trainingsformat, das speziell für Special Operation Surgical Teams konzipiert wurde.

Training zugleich Weiterentwicklung

Ziel ist es, medizinisches Handeln unter den Bedingungen irregulärer Kriegsführung (IW) nicht nur zu trainieren, sondern strukturell und taktisch weiterzuentwickeln. Die Übung fungiert zugleich als Training und Experimentierfeld. Im Vordergrund steht die Entwicklung robuster Entscheidungsfähigkeit in dynamischen, ressourcenlimitierten Einsatzlagen – nicht das routinierte Abarbeiten medizinischer Standardprozeduren.

Das medizinische Geschehen wird bewusst in den taktischen Kontext eingebettet. Ausbilder ziehen sich früh zurück, um Eigenverantwortung und Kreativität zu fördern. Rollen bleiben flexibel, Verantwortung wird auf mehrere Schultern verteilt. Besonders Ärzte werden außerhalb der Komfortzone ihrer Klinik auf die Realität einer taktischen Lage vorbereitet.

Übung im Battle Rhythmus

Anders als in vielen Übungen beginnt nach der chirurgischen Versorgung die eigentliche Herausforderung. Patientinnen und Patienten müssen nach intesivmedizinischen Prinzipien weiterversorgt werden. Zentral ist die Etablierung eines Battle Rhythmus – ein soldatisch geprägtes Modell mit klarer Aufgabenverteilung, Rotation und Checklisten, das sich auch für medizinische Teams unter Stress bewährt. Disziplin, Übersicht und das Beherrschen grundlegender soldatischer Fähigkeiten werden so zum Fundament medizinischer Handlungsfähigkeit in Irregular Warfare.

Key Messages:

      • „Ridge Healer“ ist ein Trainingslabor für realitätsnahe medizinische Ausbildung in IW-Szenarien.
      • Der Einsatzraum ist nicht das Krankenhaus – sterile Standards, volle Ausrüstung oder spezialisierte Rollen sind oft illusorisch.
      • „Get the instructor out of the picture“ – Teams müssen durch Übung und eigene Fehler lernen, nicht durch permanente Korrektur.
      • Alles ist eine Entscheidung – Medizin ist nur ein Teil des Auftrags.
      • Teams müssen flexibel sein: Cross-Training, Rollentausch, Split-Team-Strategien sind entscheidend.
      • Der Fahrer eines Evakuierungsfahrzeugs hat mehr Einfluss aufs Überleben als der Arzt – MEDEVAC ist kein „medizinischer Pause-Knopf“.
      • Hypothermie ist ein unterschätzter, aber kritischer Faktor im Feldeinsatz.
      • Nach der Operation beginnt die PFC-Phase – Ziel: Stabilität, nicht nur überleben.
      • Verwende PFC-Flowsheets, definiere Ziele, arbeite mit Trends – nicht mit Einzelwerten.

Fazit: Medizin unter IW-Bedingung erfordert Anpassung, Pragmatismus, Entscheidungsfreude und solide Grundfähigkeiten – „Basic soldiering“ ist ebenso wichtig wie medizinisches Können.


 

Operational Security of Medical Personnel under Asymmetric Threats: A Middle East Perspective

Ufuk Sarikaya (TUR)

Ufuk Sarikaya, ehemaliger medizinischer Ausbilder der türkischen Armee, gab aus der Nahost-Perspektive einen Überblick über mögliche Bedrohungen des medizinischen Personals bei asymmetrischen Konflikten.

Herausforderung: Radikalreligiöser Terrorismus

Er beleuchtete die spezifischen medizinisch-operativen Herausforderungen beim Umgang mit radikalreligiösem Terrorismus im Nahen Osten, insbesondere aus Sicht von medizinischem Einsatzpersonal in asymmetrischen Konflikten. Basierend auf jahrzehntelanger Erfahrung beschrieb Ufuk Sarikaya die Motivationen, Taktiken und Strukturen radikaler Gruppen, die Bedrohung durch UAVs, IEDs und Selbstmordattentäter sowie das daraus resultierende besondere Risiko für militärische Sanitätskräfte.

Zudem betont er die Notwendigkeit detaillierter medizinischer Einsatzplanung vor, während und nach Operationen, einschließlich präventiver Maßnahmen, logistischer Vorbereitung, persönlicher Sicherheit, Telemedizin, Triage, CASEVAC und PFC.

Fokus: Operative Sicherheit und Resilienz medizinischer Teams

Ein besonderes Augenmerk legte er auf die operative Sicherheit und Resilienz medizinischer Teams. Seine Feststellung: Nur wer den Feind, das Terrain und die kulturellen Eigenheiten kennt, kann in diesen komplexen Umgebungen überleben und wirksam helfen.

Wichtig für die medizinische Planung bei Einsätzen im Nahen Osten seien deshalb nicht nur der Feind, sondern auch das Terrain und Klima. Je besser man den Feind verstehe, umso besser könne man sich auf mögliche Angriffe vorbereiten. Eine Verbindung zur lokalen Bevölkerung sei ebenso wichtig wie Evakuierungspläne und die Erkundung und Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern vor Ort.

Key Messages:

      • Radikaler Terrorismus ist eine extreme Bedrohung für medizinisches Personal, das als potenzielles Ziel gilt und sich außerhalb des Schutzes durch Völkerrecht bewegt.
      • Radikale Gruppen nutzen eine Vielzahl asymmetrischer Taktiken, darunter IEDs, VBIEDs, Drohnen, Sniper, Entführungen und psychologische Kriegsführung.
      • Sanitätskräfte müssen taktisch denken, handeln und planen können, um in instabilen Umgebungen zu überleben und Leben zu retten.
      • Detaillierte medizinische Einsatzplanung ist essenziell – angepasst an Mission, Gegner, Klima, Gelände, Logistik und Evakuierungsoptionen.
      • Jede Operationsphase hat spezifische medizinische Anforderungen – von körperlicher Vorbereitung über CUF bis hin zur Post-Mission-Analyse.
      • Selbsthilfe, Kameradenhilfe und Sofortmaßnahmen entscheiden über Leben und Tod – insbesondere bei verzögerter Evakuation.
      • Lebenserhaltende Geräte für PFC müssen robust, mobil und widerstandsfähig sein (z. B. gegen Vibration, Wasser, Magnetfelder).
      • Kulturelles Verständnis, Respekt gegenüber der lokalen Bevölkerung und Verhaltensdisziplin sind Überlebensfaktoren.
      • Der Faktor Mensch entscheidet oft über Erfolg oder Scheitern – mentale Stärke, Flexibilität und situatives Reagieren sind zentral.

Fazit:„Nicht Planung, sondern Anpassungsfähigkeit rettet Leben“ – und die medizinische Vorbereitung muss das widerspiegeln.

 

5. Session: TCCC at Sea, Desert, Mountain, and Cold

Competency and Abundance – that´s What Might Save us

Kateryna Maslyak (UKR)

Dr. Kateryna Maslyak, eine ukrainische Anästhesie- und Intensivmedizinerin sowie TCCC-Trainerin, stellte in ihrer Präsentation die Herausforderungen der taktischen Medizin in der Ukraine dar.

Vor dem Jahr 2022 habe es kaum Verständnis für TCCC in der Ukraine gegeben. Mit dem Jahr 2022 gab es strukturierte Kurse wie ASM, CLS, CMC und CPP und ab dem Jahr 2024 sei ein 30-stündiger Taktik-Medizin-Kurs Teil der Grundausbildung in der ukrainischen Armee.

Verzögerung der weiteren Versorgung – ein zentrales Problem

Als ein zentrales Problem identifizierte Dr Maslyak die Verzögerung der weiteren Versorgung und gab zu Bedenken, dass vom POI bis CASEVAC durchschnittlich 12 Minuten, vom CASEVAC bis zur Role 2 -Einrichtung 5 Stunden und von der Role 2 bis zur Role 3 bis zu 28 Stunden vergingen. Maßnahmen wie Damage Control Surgery (DCS) und Damage Control Resuscitation erfolgten zu spät.

Kompetenzsteigerung als Lösungsansatz

Als Lösungsansatz für dieses Problem nannte sie höhere Kompetenz im Sinne einer Ausbildung aller Helfenden zum Combat Life Saver (CLS), in der Combat Medic Care (CMC), En Route Care und der Prolonged Field Care (PFC), denn DCR und DCS beginnen am POI und nicht erst im Krankenhaus.

Sie stellte als Beispiel die Trainingsprinzipien der NGO CHEST vor, welche Kompetenz auf Basis realistischer Praxis, Lernen durch Tun, öffentlicher Reflektion von Fehlern, der Schulung von Zivilisten als potenzielle Soldaten und dem Beherrschen von CLS und Basics der DCR durch jede Person.

Ausrüstung und ihre richtige Nutzung

Die zweite Säule des Vortrags bildete neben der im ersten Teil geforderten Kompetenz die Forderung nach Ausrüstung. Dabei sei neben dem Fehlen von geeigneter Ausrüstung ein größeres Problem, dass vorhandene Ausrüstung nicht genutzt werde. Die Lösung dafür sei wiederum Training, um die Angst vor vermeintlicher Verschwendung abzubauen. Eine Grenze zwischen ziviler und militärischer Medizin gebe es in der Ukraine dabei schlichtweg nicht, da die russischen Raketen auch keine Grenzen kennten.

Key Messages:

      • NGO CHEST: „We worship what we preach, and we practice what we teach.“
      • Kompetenz rettet Leben – nicht Titel, Ränge oder akademische Grade.
      • TCCC, CLS, DCR, DCS und PFC müssen praktisch beherrscht werden – ab POI bis zur Definitive Care.
      • Evakuierungsverzögerungen von 5–28 Stunden sind Alltag in der Ukraine – daher beginnt Damage Control schon im Feld.
      • Viele Verwundete sterben, weil einfache Maßnahmen (z. B. Blutstillung) nicht oder zu spät erfolgen.
      • Kompetenzbasierte Ausbildung braucht mehr Praxis und weniger Theorie – jeder muss wissen, wie man Leben rettet.
      • Nicht-medizinisches Personal muss ebenfalls in DCR und DCS unterrichtet werden, da es oft allein vor Ort ist.
      • Es mangelt nicht nur an Ausrüstung, sondern auch an der Fähigkeit, Vorhandenes korrekt einzusetzen.
      • Taktische und zivile Medizin verschwimmen in der Ukraine – der Krieg macht keine Unterschiede zwischen Front und Heimat.
      • NGOs wie CHEST leisten entscheidende Arbeit, weil sie schnell, unabhängig und flexibel agieren können.

Fazit: Kompetenz + Verfügbarkeit = Überlebenswahrscheinlichkeit. 
Jede internationale Unterstützung – sei sie materiell, personell oder ideell – macht einen Unterschied.


 

A Proposed Model for Medical Mission Specific Training

Thomas Geddes (UK)

Major Geddes von der britischen Armee stellte in seiner Präsentation ein modulares Schulungsmodell zur Vorbereitung medizinischer Einsatzkräfte auf tropische Umgebungen vor. MAAfriC steht für Meaningful Assistance in African Conditions. Es handelt sich um einen Ausbildungslehrgang des britischen Militärs, der sich auf medizinische Versorgung unter schwierigen Bedingungen und in afrikanischen Kontexten konzentriert. Sein Fokus lag dabei auf realitätsnahen und länderspezifischen Inhalten.

Sein Kurs „MAAfriC“ umfasst dabei 6 Module:

      • Modul 1 beschäftigt sich mit der Environmental Medicine und soll dem Teilnehmer Verständnis klimatischer, geografischer und hygienischer Risiken vermitteln.
      • Modul 2 soll erreichen, dass nicht nur schlichtes Überleben das Ziel ist, sondern dabei auch sicher und wirkungsvoll agiert werden soll. Dies umfasst Anpassungsstrategien an Hitze, Feuchtigkeit und Ressourcenknappheit.
      • Modul 3 vermittelt Wissen zur medizinischen Versorgung während eines Transportes und soll dabei lehren, auftretenden Herausforderungen wie instabilen Patienten, schlechten Straßen und dem drängenden Zeitfaktor wirkungsvoll begegnen zu können.
      • Modul 4 „Enhanced Force Health Protection“ zeigt, wie präventiv gegen Infektionen durch Vektoren und dem Trinkwasser vorgegangen werden kann, unter anderem durch Maßnahmen wie einem angemessenen Impfstatus, Mückenschutz oder Malaria-Prophylaxe.
      • Modul 5 „Flora und Fauna“ macht den Teilnehmenden den richtigen Umgang mit tierischen und pflanzlichen Gefahren, wie Giftschlangen, Skorpione, Pflanzenkontakt und Tollwut verständlich.
      • Modul 6 „Einsatzlandspezifische Fallbeispiele“ bereitet die Teilnehmenden kontextbezogen auf häufige Krankheitsbilder und typische Notfälle vor.

Durch eine Kombination von ortsbezogener Theorie und Falltrainings soll das Gesamtkonzept eine bessere Einsatzfähigkeit und niedrigere Morbidität und Mortalität erreichen.

Key Messages:

      • Tropische Einsatzräume erfordern spezifisches medizinisches Training, das über klassische TCCC- oder NATO-Standards hinausgeht.
      • Medical Mission Specific Training (MST) schließt diese Lücke, mit Modulen zur Umweltanpassung, Tropenmedizin, und operativer Resilienz.
      • Ziel ist nicht nur „Überleben“, sondern „Leistungsfähigkeit“ im Einsatzraum – „Thriving not just surviving“.
      • Das vorgestellte Modell kombiniert Umwelteinflüsse, Risikoprävention, Transportmedizin und lokale Krankheitsbilder.
      • Ein strukturierter Medical-RSOI-Ansatz sollte integraler Bestandteil multinationaler Vorbereitungen sein.
      • Flora, Fauna und klimatische Bedingungen beeinflussen die Einsatzfähigkeit ebenso wie feindliche Einwirkung.
      • Präventivmedizin und Force Health Protection (FHP) sind zentrale Elemente im tropischen Kontext.
      • Fallbeispiele („environment specific cases“) sorgen für Praxisnähe und Handlungssicherheit.
      • Der MAAfriC-Kurs dient als bewährte Vorlage – adaptierbar für andere Regionen mit ähnlichen Herausforderungen.

Fazit: Tropenmedizin im Einsatz braucht mehr als ein Kapitel im Sanitätslehrbuch – sie braucht ein eigenes, praxisorientiertes Trainingskonzept.


 

TCCC in the Mountains – Tactical Alpine Medicine 

Markus Isser (AUT)

Einen spannenden Vortrag über taktische Medizin in den Alpen gab uns der diplomierte Anästhesiepfleger ­Markus Isser, Mitglied der Bergrettung Tirol und Initiator der Taktischen Alpinmedizin. Nach einem kurzen Überblick über die Entwicklung der Bergrettung seit dem 1. Weltkrieg erläuterte er vor allem die Unterschiede zum gängigen Untersuchungsschema cABCDE.

Gemeinsam mit Kollegen hat er zur Behandlung von Verwundeten in alpinem Gelände den crABCDE Algorithmus entwickelt, der neben dem Critical Bleeding vor allem die Hypothermievermeidung und -behandlung in den Fokus gerückt. Dazu darf der Patient nur so kurz wie möglich aufgedeckt werden, bei extremen Bedingungen (Kälte/Wind) wird zusätzlich noch ein Zelt um den Patienten und das Behandlungsteam aufgebaut.

Zudem betonte Isser die häufige Notwendigkeit zur Improvisation bei nur begrenzt zur Verfügung stehendem Material. Als Beispiel nannte er die Rettungsdecke, die neben der Hypothermieprophylaxe als Multitool auch als Chest Seal, Tragehilfe oder Tourniquet verwendet werden könnte.

Key Messages:

      • TCCC ist im alpinen Gelände hochrelevant, muss aber an die besonderen Gegebenheiten angepasst werden (crABCDE mit Fokus Hypothermievermeidung/-behandlung).
      • Einsätze in den Bergen erfordern Improvisation trotz medizinischer Standards – „zwischen Lehrmeinung und Realität“.
      • Extreme Umgebungseinflüsse wie Kälte, Höhenlage und Gelände erschweren Diagnostik und Therapie erheblich.
      • Material muss multifunktional, robust und unter Extrembedingungen einsetzbar sein – z. B. Rettungsdecken mit erhöhter Reißfestigkeit.
      • Einsatzzeiten und Wetterfenster diktieren die Versorgungstaktik – besonders bei Nacht- oder Lawineneinsätzen.
      • „Nobody is dead until warm and dead“ – Hypothermie darf nie unterschätzt werden, Wärmeerhalt hat Priorität.
      • Die Zusammenarbeit in kleinen, hochspezialisierten Teams ist essenziell – Kommunikation, Vertrauen und Rollenverteilung sind überlebenswichtig.
      • Wissenschaftliche Studien aus der Bergrettung leisten wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der präklinischen Versorgung.
      • Realistische Fallbeispiele und Übungen sind unverzichtbar – Theorie muss unter Einsatzbedingungen geprobt werden.

Fazit: Alpine TCCC braucht Anpassung, Mut zur Entscheidung und das Zusammenspiel von Erfahrung, Wissenschaft und Teamarbeit.


 

The Challenges of Delivering TCCC in an Arctic Environment

Bart (UK)

Die taktische Verwundetenversorgung (TCCC) in arktischen Umgebungen stellt medizinische Kräfte vor besondere Herausforderungen. Kältebedingte Komplikationen – insbesondere Hypothermie – entwickeln sich rasch und sind unter Gefechtsbedingungen eine zentrale, oft unterschätzte Todesursache. Die klassische TCCC-Doktrin greift unter diesen Bedingungen nur bedingt. Hinzu kommt, dass die alten bekannten Einsatzszenarien grundlegend verschieden zu LSCO wie dem Ukrainekrieg sind. Hypothermieprophylaxe als zentraler Bestandteil des letalen Diamanten muss in den bekannten Konzepten neu priorisiert werden.

Neben passiven Maßnahmen wie Isolierung durch Matten, Decken oder Schutz vor Wind sind aktive Wärmeerhaltungsstrategien essenziell. Dazu zählen erwärmte Infusionslösungen, externe Wärmepads oder gegebenenfalls auch körperinterne Rewarming-Techniken. Gleichzeitig müssen Arzneimittel kältegeschützt gelagert werden, um ihre Wirksamkeit zu erhalten. Monitoring und Diagnostik werden durch Limitierungen in der Thermometrie, Beweglichkeit und Sicht zusätzlich erschwert.

Entscheidend ist ein ganzheitliches Wärmemanagement, das bereits in der Einsatzplanung beginnt: Materialwahl, Drill, Teamstruktur und Aufgabenverteilung müssen auf arktische Bedingungen ausgerichtet sein. Nur so lässt sich auch unter extremen klimatischen Bedingungen eine suffiziente, taktisch eingebettete Verwundetenversorgung realisieren.

Key Messages:

      • Hypothermie ist im arktischen Umfeld eine primäre Todesursache bei Verwundeten.
      • Klassische TCCC-Modelle sind in extremer Kälte nur eingeschränkt umsetzbar -> MhARCH or at least MAhRCH.
      • Versorgung muss in geschützten Räumen erfolgen, nicht im freien Gelände.
      • Aktives Wärmemanagement ist zentraler Bestandteil der medizinischen Planung.
      • Teamdrill, Materialwahl und missionsspezifische Vorbereitung entscheiden über den Erfolg.

 

TCCC in Large Scale Combat Operations: Insights from the Frontline

Olha Tahirova (UKR)

Als Combat Medic der ukrainischen Azov-Brigade sprach Olha Tairova nicht über theoretische Modelle, sondern zeigte realitätsnahe Bilder aus dem täglichen Einsatz in Nju Jork, Region Donezk. Ihre Videodokumentation verdeutlichte eindrücklich, wie sehr sich das Wesen taktischer Verwundetenversorgung in Szenarien von Landes- und Bündnisverteidigung verändert hat.

Wie viele ihrer ukrainischen Vorredner stellte sie fest:

Die klassische Rettungskette ist de facto obsolet – ebenso wie das Konzept der „Golden Hour“. Die Evakuierung Schwerverletzter in hinteren Linien kann bis zu 36 Tage dauern. Krankenwagen sind in diesem Kontext nur noch „teure Taxis“ – ihre Ausstattung wie auch ihr Personal verlieren ihre Wirkung in der Präsenz von Drohnen und einer ständigen Gefechtsfeldüberwachung. Nicht der Schweregrad der Verletzung allein, sondern der Zeitpunkt der Verletzung – morgens oder abends – entscheidet nun auch über Leben und Tod.

Tahirova beschrieb, wie sich die Azov-Einheit an diese Realität angepasst hat: Durch niedrigschwellige Schulungen werden einfache Soldaten in erweiterten lebensrettenden Maßnahmen ausgebildet – weit über das klassische „Stop the Bleed“-Konzept hinaus. Besonders betonte sie die Fähigkeit, ein Tourniquet nicht nur anzulegen, sondern auch korrekt in einen definitiven Verband zu konvertieren.

Telemedizinische Unterstützung ermöglicht fundierte Entscheidungen auch unter Frontbedingungen. Blutprodukte werden per Drohne in die Schützengräben gebracht – dort erfolgen Transfusionen kurz nach dem Feindkontakt, unmittelbar nach Verwundung.

Tahirovas Vortrag unterstrich eindrücklich, die Mahnungen der ukrainischen Kollegen ernst zu nehmen und bereits jetzt umzudenken mit dem Ziel, in der Zukunft möglichst viele Leben zu retten.

Key Messages:

      • Klassische Evakuationsketten und Zeitfenster sind im Ukraine-Krieg nicht mehr realistisch.
      • Lebensrettung hängt von Zeit, Terrain und Tageslicht ab – nicht nur von Ausrüstung.
      • Combat Medics schulen infanteristische Kräfte in erweiterten Maßnahmen (Multiplikatorenrolle).
      • Tourniquet-Konversion und Transfusion im Graben werden zur neuen Realität.
      • Telemedizin, Drohnentechnik und Ausbildung auf Truppenebene sichern Überlebenschancen.

 

6. Session – Reflections & Insights into Recent Conflicts (Part II)

Providing Medical Care in Today’s ­Drone-dominated Battlefield

Serhii Rotchuk (UKR)

Serhii Rotchuk von der Azov-Brigade hielt einen eindrucksvollen Vortrag über den Einsatz von Drohnen, die zum einen von den russischen Streitkräften zur Aufklärung und Bekämpfung der ukrainischen Armee, aber auch zunehmend zur Unterstützung der eigenen medizinischen Versorgung und Evakuierung von Verwundeten verwendet werden.

Um der Aufklärung durch feindliche Drohnen zu entgehen, können Evakuierungen vom Verwundetensammelpunkt (Casualty Collection Point, CCP) zur nächstgelegenen medizinischen Versorgung nur noch in der sogenannten „Siriak-Phase“ durchgeführt werden. Dies ist die Zeit der Dämmerung, in der das geringste Aufklärungsrisiko herrscht. Dadurch wird die Evakuierungszeit verzögert, weshalb sie ihre CCP bestmöglich ausgestattet haben, u. a. mit Sauerstoff, Blutprodukten und der Möglichkeit zur Verwendung von Telemedizin. Falls nötig, kann zusätzliches Material durch Drohnen nahe des CCP abgeworfen werden.

Zu den wichtigsten Anpassungen gehören:

      • Verzögerte Evakuierungen in den Nachtstunden („Siriak“-Phase), um der Drohnenüberwachung zu entgehen,
      • Einrichtung von CCP mit erweiterten Versorgungsmöglichkeiten (z. B. Blutkonserven, Sauerstoff, Telemedizin).
      • Taktische Nutzung von Drohnen zur sicheren Navigation von Evakuierungs-Teams oder für den gezielten Abwurf von medizinischem Material sowie
      • Schutzmaßnahmen wie elektronische Kriegsführung und improvisierte Störsender zur Drohnenabwehr, auch wenn deren Wirksamkeit durch moderne, faseroptisch gesteuerte Drohnen begrenzt ist.

Zahlreiche Fallbeispiele in dem Vortrag verdeutlichten, wie Drohnen sowohl Bedrohung als auch Rettungswerkzeug sein können. Gleichzeitig wird klar, dass Konventionen wie die Kennzeichnung von Sanitätsfahrzeugen keinerlei Schutz mehr bieten.

Key Messages:

      • Drohnen verändern die taktische Verwundetenversorgung grundlegend – insbesondere durch permanente Überwachung, gezielte Angriffe und Feuerleitung.
      • Evakuierungen bei Tageslicht sind hochriskant – es drohen hohe Verluste. Nacht- und Dämmerungsphasen werden gezielt genutzt.
      • Verzögerte Evakuierungen erfordern neue Strukturen – z. B. Verwundetensammelpunkte mit erweiterten Fähigkeiten, einschließlich Telemedizin.
      • Rettungseinsätze mit Drohnenunterstützung sind möglich und effektiv – z. B. zur Orientierung, Materialabwurf oder Fernberatung.
      • Optisch gesteuerte Drohnen umgehen elektronische Gegenmaßnahmen – neue Bedrohung durch faseroptisch verbundene Systeme.
      • Evakuierungsfahrzeuge benötigen eigene elektronische Schutzsysteme, was Logistik, Ausrüstung und Fahrerführung erschwert.
      • Kennzeichnung medizinischer Fahrzeuge schützt nicht mehr – russische Kräfte greifen gezielt auch Sanitätseinrichtungen mit dem Schutzzeichen an.

Fazit: Technologie ist ein zweischneidiges Schwert – sie kann Leben retten, aber auch gezielt bedrohen. Flexibilität und Kreativität sind entscheidend.

 

7. Session – Train as you Fight? But how Excactly?

K9 TCCC in an Operational Environment – Human Healthcare Providers

Kerri Haider/Lauren Peacock (US)

Major Kerri Heider und Captain Lauren Peacock von der US 64th Medical Detachment Veterinary Support Services and Dog Center „Flying Foxes“ aus Baumholder stellten in ihrem Vortrag das Konzept der „K91 Tactical Combat Casualty Care (K9TCCC)“ vor, das sich an den Prinzipien des menschlichen TCCC orientiert und auf Diensthunde (Military Working Dogs, MWD) angewendet wird. Die Referentinnen zeigten auf, warum MWD als unverzichtbare „Combat Multipliers“ im Einsatz einen vergleichbaren medizinischen Versorgungsstandard benötigen – insbesondere bei limitierten veterinärmedizinischen Ressourcen im Einsatzgebiet.

Der Schwerpunkt liegt auf der Integration von Human Health Providers (HHP) in die K9-Versorgung, da diese häufig die ersten oder einzigen Ansprechpartner bei der Versorgung verwundeter Diensthunde sind. Es werden anatomische Besonderheiten, Unterschiede in Physiologie, Medikamenten, Injektionstechniken, Hypothermiemanagement, Schmerztherapie, Prolonged Field Care (PFC) und Bluttransfusionen beim Hund behandelt.

Strukturierte Versorgung: M3ARCH2

Das strukturierte Versorgungsschema M3ARCH2 leitet sich vom TCCC-Algorithmus ab und wird an den Hund angepasst. Der M3ARCH2-Algorithmus beinhaltet Maulkorb, massive Blutung, Medikamente, Atemwege, Belüftung, Kreislauf, Hypothermie, Schädeltrauma und „alles Weitere“.

Die Vitalparameter von MWD weichen von denen menschlicher Patienten ab. Gleich bleibt das Monitoring mittels SpO2, MAP und 3-Kanal-EKG. Opioide führen häufig zu Erbrechen, seien aber notwendig, um viele Behandlungsmaßnahmen überhaupt erst zu ermöglichen. Ähnlich wie bei menschlichen Patienten sollte hier Ondansetron zum Einsatz kommen.

Zur Blut- und Flüssigkeitstherapie sei es wichtig, ausschließlich Spenderblut von Hunden zu verabreichen. Ein Hund habe zirka 85 ml/kg Körpergewicht. Tranexamsäure 0,5 g sei als langsamer Bolus nicht später als 30 Minuten nach der Verletzung zu verabreichen. Außerdem sei eine Calciumgabe nach der Gabe von zwei Blutprodukten notwendig. Im Rahmen der Prolonged Field Care sei fette, proteinreiche Nahrung notwendig.

Bei Verbrennungen müsse insbesondere darauf geachtet werden, dass eine Hypothermie verhindert, ausreichend Schmerzmanagement betrieben wird. Haare im Windbereich müssten entfernt und Wunden abgedeckt werden. Zur Flüssigkeitssubstitution sollten über einen intravenösen oder intraossären Zugang 4 ml/kg Körpergewicht/h oder der prozentuale Anteil verbrannter Körperoberfläche multipliziert mit 10 ml pro Stunde verabreicht werden.

Key Messages:

      • MWD sind lebensrettende, hochqualifizierte Einsatzkräfte – ihre medizinische Versorgung ist essenziell für militärische Effektivität.
      • K9TCCC adaptiert das bekannte TCCC-Konzept auf die Physiologie und Anatomie von Hunden, um Überlebenschancen im Einsatz zu erhöhen.
      • HHP (z. B. Medics, Ärzte, Sanitäter) spielen eine entscheidende Rolle, da Veterinärpersonal oft erst auf höherer Versorgungsebene verfügbar ist.
      • Das Versorgungsschema M3ARCH2 (Muzzle, Massive Bleeding, Meds, Airway, Respiration, Circulation, Hypothermia, Head Injury, Everything else) bietet ein klar strukturiertes Vorgehen.
      • K9-Physiologie erfordert modifizierte Maßnahmen – z. B. keine humanen Tourniquets, andere Beatmungstechnik, besondere Intubation.
      • Opioide, Ketamin und Sedativa müssen differenziert eingesetzt werden – insbesondere zur Schmerztherapie und chemischen Ruhigstellung.
      • Kein Einsatz von Humanblut oder Kolloiden! Nur canine Blutprodukte verwenden, 500 ml Bolus bei schwerem hämorrhagischem Schock.
      • Hypothermieprävention, Schmerzmanagement und Verbrennungsversorgung sind auch beim Hund kritisch.
      • PFC und AE (Aeromedical Evacuation) für Hunde erfordern spezialisiertes Wissen, z. B. zur Flugtauglichkeit, Ruhigstellung und Beatmung.

Fazit: Jeder medizinisch ausgebildete Soldat muss grundlegende K9TCCC-Kenntnisse haben – denn der Hund schützt Menschenleben, und wir müssen ihn schützen.


 

UK Developing a Tier 2 SOF Medical Training ­Pathway – Lessons Learned

Luke Turner (UK)

Major Luke Turner analysierte die Entwicklung eines strukturierten medizinischen Ausbildungspfads für Tier 2 SOF-Kräfte, also spezialisierte, aber nicht hochgradig individualisierte Kräfte im Bereich der taktischen Spezialoperationen. Ziel ist es, ein Trainingssystem zu schaffen, das die Bedarfe von Patienten, Truppe und medizinischem Personal gleichermaßen erfüllt – flexibel, realitätsnah und kompetenzbasiert.

Im Zentrum des Ausbildungspfades stehen drei zentrale „Lessons Learned“:

      1. Klare Rollen- und Leistungsdefinitionen (Role Performance Statement, RPS),
      2. Analyse und Aufarbeitung des Ausbildungsfundaments (Foundation Training) und
      3. Hinterfragen starrer Kursformate zugunsten adaptiver Trainingsmethoden.

Dargestellt werden verschiedene Ausbildungsstufen: vom „Advanced Team Medic“ über den „NSOCM“ (NATO Special Operations Combat Medic) bis hin zum multidisziplinären „Special Operations Resuscitation Team“.

Turner forderte eine klare Zielorientierung, eine durchgängige Evaluation und eine flexible Mischung aus Simulation, realer Praxis und Selbststudium.

Key Messages:

      • SOF-Medizin braucht spezifische, realitätsnahe und adaptive Ausbildungspfade – kein Schema F.
      • Beginne mit einem präzise definierten „Role Performance Statement (RPS)“ – was soll die Person konkret können?
      • Unklare RPS führen zu ineffektiven Kursen, unklaren Lernzielen und nicht messbarer Kompetenz.
      • Frühzeitige Analyse des Ausbildungsfundaments ist entscheidend – was bringen die Teilnehmenden wirklich mit?
      • Eine Gap-Analyse zeigt Kompetenzlücken auf und ermöglicht gezielte Qualifikationsmaßnahmen.
      • Kurskonzepte müssen regelmäßig kritisch überprüft werden – starre Formate erzeugen Kompetenzverlust.
      • Realistische klinische Placements reduzieren „Skill Fade“ und verbessern Anpassungsfähigkeit.
      • Simulationstraining in variabler Intensität (high/low fidelity) bietet kontrolliertes Lernen mit Relevanz.
      • Ein Blended Learning-Ansatz (Selbstlernen, Simulation, Praxis) ist der Goldstandard.

Fazit: Tailored Training = Effektives Training – gute Ausbildung beginnt mit klaren Rollen und mutiger Kursentwicklung.


 

Tabletop Wargames, a Useful Tool for Training Medical Command and Control

Antoine Luft (FRA)

Colonel Dr. Antoine Luft, Leiter des French Medical Command and Control Training Center an der École du Val-de-Grâce in Paris, stellte die in Frankreich entwickelten „Kriegs-Brettspiele“ vor, mit denen Sanitätspersonal C2-Aufgaben („Command and Control“) trainieren sollen.

Grund für die Entwicklung ist nach Dr. Luft die Notwendigkeit, dass Sanitätsoffiziere nicht nur die medizinische Versorgung beherrschen, sondern auch als Planer, Ratgeber und Teilnehmer in der Kommandostruktur agieren können müssen. Dadurch kann die medizinische Effektivität deutlich gesteigert werden.

Die Spiele sind seit 2022 in die militärische Ausbildung integriert. Vorteile sind unter anderem ihre Anpassungsfähigkeit, niedrige Kosten, die Zeiteffizienz und die Förderung von kritischem Denken und adaptiver Führung. Kern ist die medizinische Planung in komplexen Operationen mit beispielsweise taktischen und/oder logistischen Einschränkungen wie in MASCAL-Szenarien.

Da bisher sehr gute Erfahrungen mit dieser Ausbildung gemacht wurden, befasst man bereits mit der Erweiterung der bestehenden sowie Erschaffung neuer Spiele. Aktuell sind diese jedoch nur in französischer Sprache erhältlich.

Abb. 6: Beispiel für ein im Rahmen der Ausbildung im französischen Sanitätsdienst eingesetztes Brettspiel. (Bild: Antoine Luft)

Key Messages:

      • Medical effectiveness = clinical expertise x operational coordination.
      • Wargaming fördert Reflexion, Anpassungsfähigkeit, operationelle Führung.
      • Vorteile: kostengünstig, zeiteffizient, auf allen Ebenen einsetzbar, kein reales Risiko, Teamwork.

 

AidUP – Disaster Medicine Education by Lecturio

Uwe Schneider (DEU)

Uwe Schneider präsentierte das Projekt „AidUP“ als Teil der globalen Bildungsstrategie der Plattform „Lecturio“ (https:// lecturio.com/inst/aidup/). AidUP verfolgt das Ziel, medizinische Fachkräfte, Ersthelfer und Ausbilder weltweit in Katastrophenmedizin zu schulen. Die Initiative vereint digitale Lehrinhalte, klinisches Wissen und moderne Lerntechnologien, um skalierbare, widerstandsfähige und kontextsensitive Trainingslösungen zu ermöglichen – besonders für Konflikt- und Krisengebiete.

Das Programm umfasst:

      • 12 000 Videolektionen,
      • 35 000 Wiederholungsfragen,
      • 9 800 Fallbeispiele,
      • 130 klinische Simulationen,
      • spezielle Module zu ”Disaster Casualty Care (DCC)” und ”Disaster Mental Health”.

Die Ausbildung von 10 Millionen Fachkräften in DCC weltweit – mit Fokus auf Einsatzgebiete wie Ukraine, Naher Osten oder fragile Staaten, ist angestrebt. Das Programm setzt auf Partnerschaften, Co-Kreation, lokale Expertise und digitale Verbreitung, um Gesundheitssysteme resilienter zu machen

Key Messages:

      • AidUP verbindet Katastrophenmedizin, Militärmedizin und digitales Lernen, um globale Notfallvorsorge zu stärken.
      • Ziel ist die Schulung von 10 Millionen medizinischen Fachkräften in Disaster Casualty Care (DCC).
      • Lecturio bietet skalierbare, evidenzbasierte Bildungsformate, die überall und jederzeit zugänglich sind – auch offline.
      • Das System nutzt moderne Lernmethoden wie spaced repetition, simulationsbasiertes Lernen und personalisierte Tutoren.
      • Disaster Mental Health ist integraler Bestandteil, mit Inhalten von führenden Militärpsychiatern (z. B. Jetly, Vermetten).
      • AidUP richtet sich an Ärzte, Pflegekräfte, Community Health Worker und Ersthelfer – angepasst an ihren Erfahrungsgrad.
      • Die Inhalte entstehen in Zusammenarbeit mit internationalen und lokalen Experten – offen für neue Partner und Felderfahrungen.
      • Beispielprojekte wie Ukraine zeigen die Anwendbarkeit in aktiven Krisengebieten.
      • Open-Access-Ansatz mit Co-Development und Wissensaustausch ist explizit erwünscht – „Let’s Collaborate“.

Fazit: AidUP bietet ein robustes, partnerschaftliches Bildungsmodell, um Systeme krisenfester zu machen und Leben in Katastrophen zu retten.
https://lecturio.com/inst/aidup/


 

Scaling the Frontline: AI-Driven Ultrasound ­Adoption

Rob Arntfield (CAN)

Prof. Rob Arntfield, Western University London, Ontario CAN, präsentierte einen zukunftsorientierten Ansatz zur Verlagerung diagnostischer Kapazitäten in den vor­dersten Einsatzraum. Anstatt auf zentralisierte Hochleistungsdiagnostik zu setzen, plädiert er für tragbare, KI-gestützte Lösungen, die auch unter Feldbedingungen verlässliche Entscheidungen ermöglichen – unabhängig vom Ausbildungsniveau der Nutzerinnen und Nutzer.

Im Zentrum steht die Integration von Point-of-Care-Ultraschall (POCUS) in Kombination mit Künstlicher Intelligenz. Die vorgestellten Systeme detektieren in Studien insbesondere thorakale Verletzungen wie den Pneumothorax besser als Ärzte. Mit dem Prototyp „PneumoGo“ wurde ein portables Assistenzsystem vorgestellt, das unter realen Bedingungen – etwa bei den US-Marines – erfolgreich getestet wurde.

Arntfield fordert ein Umdenken: Diagnostik muss vorverlagert werden. Gerade die Skalierbarkeit und Automatisierung seien unverzichtbar in der modernen Einsatzmedizin.

Key Messages:

      • Diagnostik muss vorverlagert werden – direkt in den taktischen Raum.
      • KI-basierter Ultraschall ist genauer als manuelles Screening bei thorakalen Notfällen.
      • Standardisierte Systeme wie „PneumoGo“ ermöglichen Diagnostik ohne Fachpersonal vor Ort.
      • Skalierung ersetzt Zentralisierung: Technik bringt Entscheidungskompetenz nach vorne.

 

Ten Bullets Lessons Learned – Training in the ­Jungle of Brasil

Carsten Dombrowski (DEU)

Der ehemalige Soldat, Rettungsassistent und TCCC Instructor Hauptmann a. D. Carsten Dombrowski berichtete über eine „Trainingsmission“ in Brasilien, bei der eine vermisste Person im Dschungel gesucht werden sollte. Dabei ging es um die Planung der Mission, die medizinische Planung und den SAR (Search and Rescue)-Einsatz. Die dabei entstandenen „Lessons learned“ fasste er in zehn Punkten zusammen.

Key Messages:

      • Frühzeitige, strukturierte Planung (PACE – Primäre, Alternative, Contingency, Emergency) ist essenziell – Improvisation ist kein Ersatz für Vorbereitung.Klare Aufgabenverteilung im Team verhindert Chaos – Rollen und Verantwortlichkeiten müssen definiert sein.
      • Informationssammlung vorab ist erfolgskritisch – über Ort, Lage, Logistik, Klima, Zeitzone.
      • Materialtransport realistisch einschätzen – Zeit, Temperaturunterschiede und Zollvorgaben bedenken.
      • Einsatzbereitschaft hängt von vielen Faktoren ab – Klima, Zeitzone, Akklimatisierung.
      • Cross Check – Kontrolle aller Vorgänge und Ausrüstung
      • PSA (Persönliche Schutzausrüstung) – angepasst und komplett bereithalten.
      • Teamarbeit ist ein Schlüsselfaktor – individuelle Exzellenz bringt nichts ohne Kooperation.
      • Rechne mit dem Unerwarteten – alternative Pläne (B, C, D, E) sind Pflicht.
      • Nachbesprechung (Debriefing) und medizinische Checks sichern Erkenntnisse und Gesundheit.
      • Exitstrategie ist Teil des Plans – Rückweg und Nachsorge müssen mitgedacht werden.

 

Zones in Terror Attack – Adapt to the Tactical ­Situation

Michael Storz (DEU)

Der Vortrag beleuchtete die praktischen Herausforderungen des Zonenkonzepts bei Terroranschlägen im zivilen Rettungsdienst. Michael Storz, Ausbildungsleiter Rettungsdienst der Berufsfeuerwehr München, argumentierte, dass das theoretisch sinnvolle Zonenkonzept – Einteilung in rote, gelbe und grüne Zonen – in der Realität oft nicht praktikabel ist, insbesondere in der Anfangsphase dynamischer Einsatzlagen.

Ein zentrales Problem sei, dass die „Grüne Zone“ oft nicht sofort definierbar ist. Dennoch bestehe akuter Handlungsdruck, insbesondere zur Versorgung kritisch verletzter Personen. Die klassische Priorität „Eigenschutz vor Patientenschutz“ müsse in solchen Situationen neu bewertet werden – insbesondere, wenn der Verzicht auf frühe medizinische Hilfe fatale Konsequenzen hat.

Storz forderte eine offene, strukturierte Diskussion innerhalb der Rettungsdienste über akzeptable Restrisiken, realistische Entscheidungsgrundlagen und mögliche Anpassungen der bestehenden Konzepte zur Versorgung lebensbedrohlich verletzter Patienten (LebL-Konzepte).

Key Messages:

      • Das Zonenkonzept ist theoretisch sinnvoll, aber praktisch oft schwer umsetzbar – besonders in der Anfangsphase eines Terroranschlags.
      • Die grüne Zone ist häufig nicht sofort klar definierbar, was zu Unsicherheit und Versorgungsverzögerungen führt.
      • Kritisch verletzte Patienten haben keine Zeit, auf „grüne Zonen“ zu warten – medizinische Erstversorgung muss frühzeitig beginnen.
      • Der Eigenschutz ist wichtig, darf aber nicht überproportional Vorrang erhalten, wenn keine konkrete Gefahr besteht.
      • Rettungskräfte müssen lernen, mit Restrisiken umzugehen, so wie es auch in anderen Gefahrenlagen üblich ist (z. B. Verkehr, Brand, Höhenrettung).
      • Konkrete Gefahr (z. B. aktiver Schütze) rechtfertigt Rückzug, abstrakte Gefahren (z. B. vermuteter Sprengsatz) müssen kritisch bewertet werden.
      • Einsatzleitung trägt Verantwortung für Balance zwischen Sicherheit und Versorgung, nicht nur für die Lageeinschätzung.
      • Standardisierte Anforderungen an zu 100 % sichere Einsatzstellen sind unrealistisch – diese gibt es im Alltag auch nicht.
      • LebL-Konzepte müssen anpassungsfähig und dynamisch sein, um der Realität komplexer Einsatzlagen gerecht zu werden.

Fazit: Die Debatte über Einsatzgrenzen, Restrisiken und Versorgungstaktik in Terrorlagen ist überfällig und muss innerhalb des Rettungsdienstes aktiv geführt werden.

 

8. Session – Water is for Spaghetti – Whole Blood Update 

Comparison of the Lethal Tried and the Lethal ­Diamond:

Olivier Duranteau (FRA)

Vor dem Hintergrund der traumainduzierten Koagulopathie erläuterte Prof. Olivier Duranteau, Hôpital National d‘Instruction des Armées (HNIA) Percy, die zwei bekannten Konzepte: die „Lethal Triad“ (Hypothermie, Azidose, Koagulopathie) sowie die erweiterte „Lethal Diamond“, welche zusätzlich die Hypokalzämie berücksichtigt. In seiner vorgestellten retrospektiven Multicenter-Studie war es das Ziel, deren prognostische Aussagekraft hinsichtlich der 24 h-Mortalität bei Schwerverletzten zu vergleichen.

Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied im prognostischen Wert zwischen beiden Konzepten. Jedoch war die gleichzeitige Präsenz mehrerer Kriterien – insbesondere bei bestehender Hypokalzämie – mit einer erhöhten Mortalität assoziiert. Die Ergebnisse werfen relevante Fragen für zukünftige Forschung zur Rolle von Kalzium in der Traumaversorgung auf.

Abb. 7: Die vier Eckpunkte des Death Diamond (Bild: O. Duranteau)

Key Messages:

      • Keine prognostische Überlegenheit von Lethal Diamond gegenüber Lethal Triad.
      • Hypokalzämie + multiple Trias/Diamond-Kriterien → erhöhte 24h-Mortalität.
      • Kalzium: Risikomarker oder therapeutisches Ziel?
      • Weiterer Forschungsbedarf zu Timing, Dosis und Outcome der Kalziumgabe.

 

Whole Blood as a Resuscitation Fluid in the ­Prehospital Arena – an Update from THOR and Real Life Experience

Elon Glassberg (ISR)

Brigadier General Prof. Dr. Elon Glassberg, Surgeon General‘s Headquarters, Israel Defense Forces (IDF), gab in seinem zweiten Vortrag einen Einblick in die seit 2018 bei den IDF etablierte präklinische Versorgung von Verwundeten mit Vollblut (Whole Blood). 2018 wurde die Maßnahme in der Flugrettung, 2021 dann auch in ausgewählten Rettungsmitteln und zudem seit dem Angriff der Hamas auch an der Frontlinie eingeführt. Inzwischen ist „Whole Blood“ in der israelischen Armee das Transfusionsmittel der Wahl beim hämorrhagischen Schock.

Vorteile von Whole Blood

Als Vorteil gegenüber der Komponententherapie (Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentrat, FFP (Fresh Frozen Plasma) und Kryoplasma) hat Whole Blood eine höhere Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentration sowie mehr Gerinnungsfaktoren bei weniger Volumen. Prof. Glasberg stellte fest, dass die Verwendung von Whole Blood zudem bereits seit Jahrzehnten in vielen Ländern praktiziert wird. Risiken wie Transfusionsreaktionen oder Infektionen würden seiner Meinung nach dem Nutzen deutlich schwächer entgegenstehen.

THOR-Netzwerk

Außerdem stellte Prof. Glassberg das internationale „THOR“-Netzwerk (Trauma Hemostasis and Oxygenation Research) vor, bei dem zivile und militärische Spezialkräfte, erfahrene Chirurgen und Notfallmediziner, aber auch Mitarbeiter der Blutbanken, Wissenschaftler und die Industrie sich zum Ziel gesetzt hätten, die Versorgung schwerer Traumata und das Outcome der Verwundeten zu verbessern.

Key Messages:

      • Verwendung von Whole Blood ist in Israel seit Jahrzehnten etabliert, seit dem Angriff der Hamas auch an der Frontlinie.
      • Whole Blood birgt Risiken, die gegenüber dem Nutzen hinten anstehen.
      • Vorteile gegenüber der Komponententherapie sind höhere Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentration sowie mehr Gerinnungsfaktoren bei geringerem Volumen.
      • THOR-Netzwerk: Internationale multidisziplinäre Gruppe mit dem Ziel, Outcome und Versorgung von schweren Traumata zu verbessern.

 

Alternatives to Whole Blood: Cell Saver and ­Autologous Transfusion

Andreas Garcia-Bardon (DEU)

In seinem Vortrag ging Flottillenarzt Dr. Andreas Garcia Bardon, Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, auf die Möglichkeit der maschinellen Autotransfusion als Alternative oder Ergänzung zu Vollbluttransfusionen in Large Scale Combat Operations (LSCO) mit hohem Blutbedarf ein.

Im Rahmen von LSCO entsteht ein extrem hoher Bedarf an Blutprodukten, welches die herkömmliche Blutlogistik überfordert und die Notwendigkeit für ressourcenschonende, feldtaugliche Alternativen in den Vordergrund rückt. Bei der maschinellen Autotransfusion (MAT) wird Blut intraoperativ oder posttraumatisch gesammelt, gereinigt und reinfundiert. Geräte, die dabei zum Einsatz kommen sind beispielsweise der Cell Saver Elite Plus, das CATSmart, oder der Hemoclear.

Insbesondere der Hemoclear scheint für den Einsatz in Low Resource-Settings unter anderem aufgrund seiner schlichten Bauform besonders geeignet.

Unabhängige (insbesondere) klinische Studien zur Bewertung der Effektivität, Sicherheit und Praktikabilität des Systems in realen Anwendungsszenarien stehen derzeit noch aus. Erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass der Hämoglobinwert einer zu filtrierenden Lösung durch das Gerät auf das bis zu Eineinhalbfache im Vergleich zum Ausgangswert erhöht werden kann.

Key Messages:

      • LSCO erfordern neue Blutversorgungskonzepte.
      • Maschinelle Autotransfusion (MAT) ist eine effektive, einsatznahe Lösung.
      • MAT bietet klinisch relevante Hämoglobinkonzentrationen.
      • MAT reduziert Abhängigkeit von Blutbanken und Transfusionslogistik.

 

9. Session – Wounded Warrior – Backside of the Coin 

Sub-PTSD Detection and the D-STRESS Project

Dr. Fanny Levy (FRA)

Dr. Fanny Levy stellte das D-STRESS Projekt vor, ein französisches Forschungsprogramm zur Erkennung von subklinischen PTBS-Symptomen. Ziel ist die objektive, nicht-stigmatisierende Früherkennung von belasteten Soldaten mittels physiologischer und verhaltensbasierter Daten.

In einer VR-gestützten Untersuchung wurden u. a. Herzratenvariabilität, Hautleitwert und Atemfrequenz während konditionierter Furchtreaktionen analysiert. Ein daraus entwickelter Risikoscore konnte Sub-PTBS mit hoher Genauigkeit identifizieren.

Key Messages:

      • Sub-PTBS betrifft bis zu 65 % der einsatzerfahrenen Soldaten.
      • VR-Paradigma erlaubt objektive Erfassung von Stressreaktionen.
      • HRV- und SCR-Werte sind zuverlässige Prädiktoren für Sub-PTBS.
      • EEG- und Verhaltensdaten verbessern das Modell kaum.
      • Ziel: massentaugliches, automatisiertes Detek­tionsverfahren zur Prävention.

 

Ganglion-stellatum-Blockade (GSB) bei PTBS

Alan Peterson (USA) & Peter Christensen (DAN)

Professor Alan Peterson, University of Texas San Antonio (USA) und Dr. Peter Christensen (Dänemark) präsentierten einen kombinierten Therapieansatz zur Behandlung von posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) – insbesondere bei Soldaten und Veteranen.

Die Kombination aus Ganglion-stellatum-Blockade (GSB) und prolongierter Expositionstherapie (PE) zielt darauf ab, die Therapieeffektivität durch gleichzeitige Reduktion der physiologischen Stressreaktion und kognitive Verarbeitung traumatischer Erlebnisse zu verbessern.

Methode der GSB

Die GSB ist ein ultraschallgestütztes, invasives Verfahren, bei dem ein Lokalanästhetikum in zwei Sitzungen an sympathische Nervenfasern im Bereich C4 und C6 (zuerst rechts, dann links) appliziert wird. Diese Fasern haben Verbindungen zur Amygdala, einem zentralen Zentrum der Angstverarbeitung. Ziel ist die temporäre Hemmung der „fight or flight“-Reaktion. Die Wirkung tritt schnell ein, hält drei bis zwölf Monate an und weist ein geringes Nebenwirkungsprofil auf (z. B. Horner-Syndrom, Heiserkeit).

Studienlage

In einer Pilotstudie mit zwölf aktiven US-Soldaten, die sich in PE befanden und zusätzlich eine GSB erhielten, kam es zu einer durchschnittlichen Reduktion um 32 Punkte im PCL-5-Score (ein Rückgang von zehn Punkten gilt bereits als signifikant). 89 % der Teilnehmenden erfüllten nach drei Monaten keine PTBS-Kriterien mehr. Aktuell läuft eine multizentrische Folgestudie mit 140 Soldaten weltweit.

Key Messages:

      • PTBS ist bei Soldaten und Veteranen hochprävalent und erfordert spezifische Behandlungsstrategien.
      • GSB ist ein sicherer, kosteneffizienter und wenig zeitaufwändiger Eingriff mit minimalem Nebenwirkungsrisiko.
      • Wirkmechanismus: Blockade sympathischer Nervenfasern → Hemmung der Amygdala → Dämpfung der Stressantwort.
      • Behandlungsprotokoll: Zwei Sitzungen innerhalb von 48 Stunden, beidseits zervikal, auf Höhe von C4 und C6.
      • Kombination mit PE (evidenzbasierte kognitive Verhaltenstherapie) zeigt deutlich verbesserte Therapieeffekte.
      • GSB kann emotionale Übererregung verringern und damit den Zugang zu kognitiven Therapieelementen erleichtern.
      • Erste Studien zeigen hohe Wirksamkeit, besonders bei bisher schwer behandelbaren Patientengruppen.
      • Weitere internationale Studien laufen zurzeit, u. a. mit online-unterstützter Datenerhebung.

Fazit: Die GSB ist eine vielversprechende Ergänzung zur klassischen Psychotherapie bei PTBS, besonders im militärischen Kontext.


 

Beyond PTSD: Addressing Shame and Moral Injury in Combat Veterans

Caroline Diekmann (DEU)

Oberstabsarzt Caroline Diekmann, Psychotraumazentrum der Bundeswehr am Bundeswehrkrankenhaus Berlin, widmete sich dem bislang wenig beachteten Phänomen der „Moral Injury“. Anders als bei der PTBS stehen hier Scham, Schuld und moralische Desorientierung nach Grenzüberschreitungen im Zentrum. Anhand von Einsatzbeispielen schilderte sie drei Hauptquellen moralischer Verletzung:

      • Fehlverhalten Dritter,
      • eigenes Handeln sowie
      • Erfahrungen von Verrat.

Ein therapeutisches, dreiwöchiges Gruppenkonzept mit psychotherapeutischen und seelsorgerlichen Elementen zeigte signifikante Wirksamkeit bei der Reduktion dysfunktionaler Strategien im Umgang mit Scham. Inhalte des Konzepts sind eine Rekonstruktion moralischer Integrität durch Rituale, narrative Verfahren und symbolische Versöhnung.

Key Messages:

      • Moral Injury beruht auf Scham, Schuld und Wertekonflikten – nicht auf Angst.
      • Ursachen sind z. B. unterlassene Hilfeleistung, eigenes Fehlverhalten, Verrat.
      • Psychotherapie adressiert Werte, Identität und moralische Rekonstruktion.
      • Rituale und symbolische Verfahren (z. B. Steinritual, Briefe) fördern Heilung.
      • Führungskräfte sollten präventiv für Moral Injury sensibilisiert werden.

 

Medical Challenges in Warzone Ukraine

Iryna Rybinkina (UKR)

Dr. Iryna Rybinkina, selbst gebürtige Ukrainerin und in Großbritannien ausgebildete Anästhesistin, gab einen eindrucksvollen Einblick in die medizinischen Realitäten in Frontgebieten der Ukraine, insbesondere in Donezk und Saporischschja. Im Zentrum stand der dramatische Kontrast zwischen modernem westlichem Klinikstandard (z. B. King’s College Hospital London) und behelfsmäßigen OPs und Stabilisierungspunkten an der Frontlinie.

Täglich sind medizinische Einrichtungen Ziel von Angriffen – zivile und militärische Verwundete, Kinder und Erwachsene werden unter schwersten Bedingungen gemeinsam versorgt. Dabei geht es nicht nur um die medizinische Versorgung, sondern vor allem um logistische, technische und infrastrukturelle Herausforderungen: Stromversorgung, Gerätestandardisierung, fehlende Ersatzteile, Verbrauchsmaterialien und mangelnde Schulung.

Paradigmenwechsel gefordert

Dr. Rybinkina forderte einen Paradigmenwechsel von „Deploy & Donate“ zu „Sustain & Support“: Nur durch durchdachte, kompatible und servicefähige Systeme lässt sich langfristig Versorgungssicherheit in Kriegsgebieten herstellen. Dies erfordert strategisches Denken, Schulung vor Ort, sowie klare Kommunikations- und Reparaturwege.

Key Messages:

      • Krieg verändert alles – insbesondere die medizinischen Standards und Prioritäten.
      • Geräte müssen kompatibel, robust und wartungsfreundlich sein – einfache Troubleshooting-Guides und Ersatzteile sind wichtiger als Hightech.
      • Turbinenbasierte Beatmungsgeräte (unabhängig von zentralem Gassystem) sind entscheidend für den Betrieb an der Front.
      • Standardisierung reduziert Komplexität – gleiche Systeme, gleiche Ersatzteile, gleiche Schulung.
      • Verbrauchsmaterialien sind oft teurer als das Gerät selbst – Planung muss laufende Kosten abbilden.
      • Charities und NGOs brauchen Zugang zu Ersatzteilen – aktuell werden diese oft nicht verkauft.
      • Planung muss Wartung, Logistik und langfristige Versorgung mitdenken – nicht nur Lieferung von Geräten.
      • Schulung ist entscheidend: Geräte können Leben retten – aber nur, wenn sie auch richtig bedient werden.
      • Digitale Kommunikationskanäle (z. B. Whats­App) ermöglichen Remote-Support – einfache Lösungen sind oft die effektivsten.

Fazit: In einem Krieg, in dem medizinische Infrastruktur gezielt zerstört wird, rettet nicht nur Technik Leben, sondern vor allem durchdachtes, nachhaltiges Systemdesign.

 

10. Session – Surgical & Anesthesiological ­Lessons Learned of Combat Related Injuries 

MOF Persistence in Shock Relevant in Large Scale Combat Operations

Pierre-Louis Quere (FRA)

In seiner Präsentation untersuchte Dr. Pierre-Louis Quere, Sainte Anne Military Hospital in Toulon, das Multiorganversagen bei schwer verletzten Soldaten in Hinblick auf Erkenntnisse in zukünftigen Large Scale Combat Operations(LSCO).

MOF-Studie aus dem Jahr 2023

Dr. Quere bezog sich dabei auf eine retrospektive, monozentrische Studie aus dem Jahr 2023, welche im Einsatz verwundete Soldaten mit einem Modified Injury Severity Score (MISS) ≥ 9 einschloss. Das Multiorganversagen (Multi Organ Failure, MOF) war als Versagen von mehr als zwei Organsystemen und einem SOFA-Score über 4 am vierten Tag in der Klinik definiert.

Studienergebnisse

22 % der Patienten entwickelten ein persistierendes MOF an Tag vier, wobei das MOF mit mehr thorakalen Verletzungen, mehr Bluttransfusionen, mehr Intubationen, einem höheren Vasopressorenbedarf, einer höheren Anzahl an Operationen in der ersten Woche und häufig mit akutem Lungenversagen (ARDS) und akuter Niereninsuffizienz (AKI) korrelierte.

Die Patienten mit MOF hatten signifikant schlechtere Outcomes. Im Vergleich zum zivilen Setting begann das MOF meist direkt nach der Verwundung, war die Transportzeit bis zum Erreichen einer Rolle 4 oft länger als ein Tag und waren die Ursachen oft multiple und komplexe Verwundungen.

Folgerungen für LSCO

Für LSCO bedeuteten diese Erkenntnisse, dass das MOF-Risiko bei schweren Kombinationsverletzungen sowie Schädelhirntraumata (TBI) und Hämorrhagie steigt und Evakuierungsverzögerungen das Problem weiter verschärfen. Eine frühzeitige Erkennung des MOF ist entscheidend und wirft die Frage nach frühzeitiger Versorgung mittels High-End-Systemen, beispielsweise der ECMO oder Nierenersatztherapie (RRT) auf.

Abb. 8: Lange Evakuierungszeiten bei möglicherweise fehlender Luftüberlegenheit verschlechtern die Prognose für Verwundete mit MOF. (Bild: Pierre-Louis Quere)

Key Messages:

      • MOF ist eine Haupttodesursache bei verwundeten Patienten mit schweren Kombinationsverletzungen.
      • Frühzeitige MOF-Erkennung ist entscheidend, aber unter LSCO-Bedingungen erschwert.
      • Lange Evakuierungszeiten bei möglicherweise fehlender Luftüberlegenheit verschlechtern die Prognose.
      • TBI und Massentransfusionen sind wichtige Indikatoren für ein MOF.
      • LSCO erfordert strategische Ressourcenplanung für organunterstützende Therapien (ECMO, RRT).

 

Regional Anesthesia in Austere Locations

Tristan Alie (CAN)

Major Dr. Tristan Alie, Royal Canadian Medical Service Ottawa, betonte den Wert regionaler Anästhesieverfahren bei Einsätzen unter Ressourcenmangel. Insbesondere bei Extremitätenverletzungen – dem häufigsten Verletzungsmuster – ermöglicht die Regionalanästhesie eine effektive und länger anhaltende Schmerztherapie bei minimalem Überwachungsaufwand.

Neben den Vorteilen hob er auch Risiken und notwendige Fertigkeiten hervor: Koagulopathie, LA-Toxizität und fehlende Expertise können schwerwiegende Komplikationen verursachen. Er forderte gezieltes Training, klare Protokolle und Kontextsensibilität bei der Auswahl der Verfahren.

Key Messages:

      • Regionalanästhesie ist ein „force multiplier“ bei Extremitätenverletzungen.
      • Schmerzreduktion bei gleichzeitig reduzierter Notwendigkeit zur Überwachung.
      • Kenntnisse in Anatomie, Koagulopathie und Ultraschallführung sind entscheidend.
      • LA-Toxizität und Fehlplatzierungen als zentrale Risiken.
      • Bedarf an strukturierten Schulungskonzepten und Auswahl geeigneter Blocktechniken.

 

Surgical Lessons Learned from Gaza, Syria and Ukraine

Samer Attar USA

Dr. Samer Attar, North Western University Chicago, ist als US-Trauma- und Unfallchirurg seit Jahren freiwillig in den Krisengebieten von Syrien, dem Gaza-Streifen und der Ukraine unterwegs. Er berichtete mit eindrucksvollen Bildern und Erzählungen von seinen Einsätzen.

Schwerste Traumata, Mangel an Ressourcen

Die Verletzungsmuster ähneln sich in allen Einsätzen sehr: massenhafte Amputationen, Weichteil- und Kopfverletzungen, dazu Mangelernährung und viele Kinder als Patienten. Die Bilder, die er präsentierte, zeigten widrigste Umstände, unter denen die Verletzten behandelt werden mussten. Es gibt auf 100 Patienten nur drei Krankenschwestern und zudem kaum Betten, sodass die Behandlung meist auf dem Boden stattfindet. Es gibt kein Monitoring, kein medizinisches Equipment, keine Bildgebung.

Offene Wundbehandlung essenziell

Eine wichtige Lehre, die er aus seinen vielen Einsätzen gezogen hat, ist die offene Wundversorgung für mindestens fünf Tage. Andernfalls kann nicht sicher davon ausgegangen werden, dass die Muskelzellen vital sind (und bleiben). Im Anschluss kann man dann einen sekundären Wundverschluss, ggf. mittels Lappenplastik, durchführen.

Große psychische Belastung

Die psychische Belastung sei enorm, nicht nur aufgrund der dauerhaften drohenden Gefahr eines Anschlags auf die medizinische Einrichtung, sondern auch aufgrund der oft sehr jungen Patienten und der Hilflosigkeit, viele von ihnen mit den gegebenen Mitteln nicht versorgen zu können. Der Umgang mit dem Tod sei an der Tagesordnung. Dr. Attar betonte jedoch auch die unglaubliche Teamarbeit und die unendliche Dankbarkeit der Patienten, die durch das Team gerettet werden konnten.

Abb. 9: Amputationsverletzungen sind sehr häufig. Die Wunde muss für mindestens 5 Tage offen behandelt werden, um die Vitalität des Gewebes beurteilen zu können. (Bild: S. Attar)

Key Messages:

      • „Killing a medic is like killing 100 soldiers“.
      • Offene Wundversorgung für mindestens fünf Tage, um das Gewebe beurteilen zu können.
      • Enorme Belastung der Krankenschwestern und Ärzte durch fehlendes Material, der dauerhaft nötigen Triagierung von Patienten sowie der Schwere der Verletzungen.

 

Leitlinie Schädel-Hirn-Trauma unter LV/BV-Bedingungen

Magnus Scheer (DEU)

Oberfeldarzt Dr. Magnus Scheer aus dem Bundeswehrkrankenhaus Ulm präsentierte die klinische Praxisleitlinie zur Versorgung von Schädel-Hirn-Traumen unter den Bedingungen der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV).

Diskrepanz zwischen Bedarf und Ressourcen

Ausgangspunkt war die drastische Diskrepanz zwischen dem erwartbaren neurotrau-matologischen Versorgungsbedarf und den real verfügbaren Ressourcen. Ein Rechenbeispiel illustriert dies eindrücklich:

Im Szenario großangelegter Kampfhandlungen wären täglich bis zu 250 penetrierende Schädel-Hirn-Verletzungen zu erwarten – dem gegenüber stehen nur etwa 20 neurochirurgische Fachärztinnen und Fachärzte in der Bundeswehr.

Leitlinie mit indikationsbasierten Handlungsempfehlungen

Um in einem solchen Szenario dennoch eine skalierbare und strukturierte Versorgung zu ermöglichen, wurde eine Leitlinie formuliert. Sie definiert indikationsbasierte Handlungsempfehlungen für die operative und konservative Behandlung – insbesondere durch Nicht-Neurochirurgen – sowie Empfehlungen zur Therapiebegrenzung in aussichtslosen Situationen.

Key Messages:

      • Die tägliche Versorgungsrealität im Rahmen LV/BV könnte 250 penetrierende SHT bei nur 20 Neurochirurgen bedeuten.
      • Leitlinie stellt skalierbare und praxistaugliche Handlungssicherheit sicher.
      • Zentrale Zielgruppe: Nicht-Neurochirurgen in Role 2/3-Strukturen.
      • Indikationsbasierte Empfehlungen für Kraniotomie, ICP-Messung, EVD, konservative Therapie.
      • Berücksichtigung telemedizinischer Unterstützung und klar definierter Grenzen.

 

Non-Compressible Hemorrhage Control

John Croushorn USA

John Croushorn, Notfallmediziner und Major a. D. der US Army, stellte in seinem Vortrag Möglichkeiten zur Kontrolle von nicht-komprimierbaren Blutungen vor.

Die Non-Compressible Torso Hemorrhage (NCTH) ist seit über zehn Jahren die häufigste vermeidbare Todesursache bei Kriegsverwundeten. Für Junctional Bleeding in der Leiste/Achsel kann man sog. Junctional Tourniquets verwenden oder alternativ die Wunde packen.

Ebenso kann man bei Junctional Bleeding/Becken- oder postpartalen Blutungen AAJT-s (Abdominal Aortic and Junctional Tourniquet-Stabilized) verwenden. Diese haben auch beim ungeübten Anwender eine hohe Erfolgsrate und können den mittleren arteriellen Druck (MAP) vergleichbar zu einer Zone 3 REBOA erhöhen. Eine Anwendung von unter zwei Stunden habe in Schweine­modellen zudem nicht zu Gewebsschäden geführt.

Ebenfalls wurde in Studien am Schweinmodell die Verwendung von AAJT-s bei Reanimation untersucht. Hier hat sich eine erhöhte ROSC-und Überlebensrate gezeigt.

Auch in der Ukraine sind AAJT-s bereits mit Erfolg angewendet worden. Ab vier Stunden Applikationsdauer seien Gewebsschäden jedoch nicht vermeidbar, die Patienten sollten intensivmedizinisch werden.

Key Messages:

      • Nicht-komprimierbare Blutungen (NCTH) sind die führende Ursache vermeidbarer Todesfälle im militärischen Einsatz – Tourniquets helfen hier nicht.
      • AAJT-S ist eine wirksame, schnell applizierbare Lösung, um arterielle Blutungen in Regionen wie Becken, Axilla, Abdomen zu stoppen.
      • Studien zeigen vergleichbare Effekte zu REBOA, aber mit weniger Invasivität und schnellerem Einsatz durch nicht-spezialisierte Kräfte.
      • Protokolle für verlängerte Anwendung (bis vier Stunden) existieren, Komplikationen sind beherrschbar, v. a. bei Transport oder verzögertem Zugriff auf definitive Versorgung.
      • Die Anwendung ist bereits CoTCCC-empfohlen, FDA-/CE-zugelassen und gewinnt weltweit an Bedeutung. Ziel: Integration des AAJT-S als „Basic Standard“ in jede taktische Verwundetenversorgung und CASEVAC-Struktur.

 

Für die Verfasser

Oberstabsarzt Dr. Katharina Beck
Department für Anästhesie, Intensiv-, Notfallmedizin und Schmerztherapie
Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm
E-Mail: kathatrina2beck@bundeswehr.org


1 K9 steht bei den amerikanischen Streitkräften für Diensthunde. Die Abkürzung ist wahrscheinlich aus der phonetischen Ähnlichkeit von K9 mit „canine“ entstanden, was „hundeartig“ oder „den Hund betreffend bedeutet."

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